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"Wir haben viel gelernt" "Wir haben viel gelernt": Basedow-Chefarzt: Behandlungschancen für Erkrankte besser

Von Robert Briest 21.09.2020, 07:13
Für Chefarzt Jörn Rüssel haben sich die Behandlungschancen für Covid-19-Erkrankte verbessert.
Für Chefarzt Jörn Rüssel haben sich die Behandlungschancen für Covid-19-Erkrankte verbessert. Katrin Sieler

Merseburg - Das Basedow-Klinikum in Merseburg war im Frühjahr das erste Haus in Sachsen-Anhalt, das einen Covid-19-Patienten mit dem damals noch nicht zugelassenen Remdesivir behandelte. Verantwortlich dafür war Chefarzt Jörn Rüssel. Mit ihm sprach Robert Briest ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie über Langzeitfolgen für Erkrankte, verbesserte Antworten der Medizin und den verlorenen Schrecken der Krankheit.

Sie haben im Frühjahr Remdesivir bei einem schwer an Covid erkrankten Krebspatienten eingesetzt. Mit Erfolg, wie Sie im Juni sagten. Ist der Patient mittlerweile wieder vollständig genesen?

Jörn Rüssel: Ja. Er war schon während der stationären Behandlung symptomfrei geworden und konnte das Virus überwinden. Trotz seiner anhaltenden Immunschwäche ist er auch nicht wieder erkrankt. Es geht ihm richtig gut.

Keine Langzeitfolgen?

Nein. Bei den übrigen Patienten, die wir geheilt entlassen haben, können das nur die Hausärzte sagen, ob es etwa eine für Viruserkrankungen nicht untypische anhaltende Müdigkeit gibt. Andernorts gibt es auch vereinzelte Berichte über Haarausfall nach der Infektion.

Setzen Sie Remdesivir mittlerweile standardmäßig ein?

Wir hatten es damals nur als Notfallmedikament eingesetzt, mittlerweile ist es für die Anwendung von Patienten mit Sauerstoffbedarf auch zugelassen. Wir dürften es also verwenden, aber wir brauchen es derzeit nicht, weil unsere Patienten milde Verläufe zeigen.

Wie viele Covid-Fälle behandeln Sie derzeit im Basedow?

Wir hatten lange Zeit gar keine Patienten. Jetzt sind es zwei Reiserückkehrer unterschiedlichen Alters. Sie zeigen aber unkomplizierte Verläufe.

Wie behandeln Sie diese?

Wie bei einer Grippe, symptomatisch. Gerade bei älteren Patienten guckt man, dass die Flüssigkeitszufuhr stimmt und dass keine bakterielle Erkrankung hinzukommt. Das wäre schlecht. Die müssten mit Antibiotika behandelt werden. Derzeit wird auch darüber diskutiert, Dexamethason, ein Cortisonpräparat, einzusetzen. Es scheint geeignet Covid-Verläufe abzumildern, so dass nicht mehr so eine akute Atemnot auftritt.

Das klingt als wären meine Behandlungschancen, wenn ich heute als Covid-Patient ins Klinikum komme, besser als vor einem halben Jahr.

Das stimmt, allein schon dadurch, dass wir viel gelernt haben, die Verläufe kennen, die Laborparameter, die auf schwere Verläufe hinweisen, auch die Radiologen können CT-Bilder der Lunge besser interpretieren. Für schwere Verläufe haben wir eben mit Remdesivir nun auch einen zugelassenen Wirkstoff. Bisher hatten wir hier auch nie Kapazitätsprobleme. Ich hoffe, dass das so bleibt. Insgesamt wird auch wahnsinnig viel zum Thema publiziert. Da ist es schwierig, im klinischen Alltag den Überblick zu behalten. Ich lese nur die Highlights.

Wie groß sind derzeit die Coronakapazitäten im Klinikum?

Wir haben jetzt einen Bereich auf einer Station, der speziell für Covid-Patienten ausgelegt ist. Der kann bei einer Verschärfung der Situation vergrößert werden. Dadurch, dass wir es einmal durch haben, können wir die Kapazitäten jederzeit schnell wieder hochfahren. Wir reservieren auf der Intensivstation auch immer zwei Beatmungsgeräte für schwere Covid-Fälle. Jeder Patient, der ins Klinikum kommt, wird nach wie vor auf Corona getestet. Die mit einschlägigen Symptomen kommen, bis zum Vorliegen des Testergebnisses, zunächst auf die Isolierstation. Das Fiese ist allerdings, dass ein negativer Rachenabstrich bei Patienten, die schon eine Lungenentzündung entwickelt haben, kein Grund zur Entwarnung ist. Da brauchen wir teilweise Auswurf aus der Lunge, eine Lungenspiegelung oder ein CT, um die Krankheit nachzuweisen.

Wie zeigt die sich in der Lunge?

Es gibt eine großflächige Entzündung, weswegen der Sauerstofftransport ins Blut schlecht funktioniert. Das Immunsystem reagiert da teilweise über. Die Hoffnung ist, dass diese überschießende Immunreaktion, durch die größere Verbreitung des Virus nachlässt, es weniger schwere Fälle gibt. Das Virus an sich hat ja kein Interesse, den Wirt zu töten, weil das seiner Verbreitung schadet.

Hat das Virus für Sie als Mediziner durch den Wissenszuwachs seinen Schrecken verloren?

Die Einzelfälle mit schweren Verläufen zeigen, dass wir es nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen. So groß war der Schrecken für Mediziner jedoch nicht, weil wir auch andere Viren kennen, die in Einzelfällen zu so schweren Verläufen führen können. Meine Sorge war am Anfang eher, dass zu viele Patienten auf einmal kommen, wir uns vielleicht anstecken, dann niemand mehr da ist, der behandeln kann. Doch wir haben in der ersten Welle gesehen, dass das deutsche Gesundheitssystem das händeln kann. So gesehen ist für mich der Schrecken kleiner geworden. (mz)