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Unterwegs in der Nacht Unterwegs in der Nacht: So geht ein Taxifahrer in Merseburg mit Problemfällen um

Von Robert Briest 24.02.2018, 16:30
Notizen für die Abrechnung: Bernd Herlitschke an seinem Arbeitsplatz
Notizen für die Abrechnung: Bernd Herlitschke an seinem Arbeitsplatz Peter Wölk

Merseburg - Bernd Herlitschke trägt seine Profession vor der Brust. Über dem strahlend weißen Hemd hängt eine blaue Krawatte mit dem Aufdruck „Taxi“. Kurz nach 22 Uhr an diesem Freitagabend bedeutet der Job für ihn warten. Mit dem Händen vor dem Bauch gefaltet sitzt er in der Zentrale der „Merseburger Funktaxen“ , einer mit PVC-Boden ausgelegten, unscheinbaren Baracke am Südende der Abbestraße. Er unterhält sich mit Stefan Engelbrecht, einem Mann im grauen Wollpullover, der vor einer Reihe von Telefonen, Funkgeräten und Monitoren sitzt. Eigentlich der Arbeitsplatz der Dispatcherinnen. Doch jetzt in den Nachtstunden übernimmt Engelbrecht diese Aufgabe als Schichtleiter mit.

Später, wenn sich die Aufträge häufen, wird er selbst hinter das Lenkrad steigen und die in der Zentrale ankommenden Bestellungen per Handy entgegennehmen. Vorerst kann er seine drei Kollegen, die in dieser Nacht Dienst tun, vom Bürostuhl aus dirigieren. Vier Fahrzeuge für Merseburg seien völlig ausreichend, sagt er. Unter der Woche seien es noch weniger, nur samstags sei die Nachfrage noch größer. Vor allem wegen Fahrten zur Disco.

Jedes Taxi ist mit GPS ausgestattet

Das Telefon klingelt. „Kommen Sie raus?“, fragt Engelbrecht in den Hörer. Dann greift er zum Funkgerät. Der Kollege soll in die Naumburger Straße fahren. Auf einem seiner Monitore kann der Schichtleiter erkennen, dass der Fahrer gerade am zentralen Einsatzort vor Hauptbahnhof wartet. Sein Auto ist ein grünes Rechteck. „Jedes Taxi ist mit GPS ausgestattet.“ Das Programm zeichne auch die Fahrtdaten auf. Im Streitfall könne man so nachvollziehen, ob der Fahrer auch wirklich die kürzeste Route genommen habe.

Auf einem anderen Bildschirm sieht der Schichtleiter die Vorbestellungen. Herlitschke soll 23 Uhr von Leuna nach Halle fahren. Tagsüber seien drei Viertel der Fahrten vorbestellt, erklärt Engelbrecht, oft seien das Fahrten zum Arzt oder Einkaufen. Im Nachtdienst gibt es mehr kurzfristige Aufträge. Das Telefon klingelt wieder: „Da möchte jemand vom Tiefen Keller nach Leuna.“ Das passt. Herlitschke wirft sich die graue Strickjacke über und geht zum Hof, wo der blassgelbe Kleinbus wartet.

Trinkgelder für Taxifahrer im Winter geringer

Das mittelalte Pärchen wartet schon draußen. Mit ihnen steigt der Geruch von Knoblauch und Alkohol ins Auto ein. Sie sind wohlgelaunt. „Wir kommen gerade von einer Feier“, erklärt die Frau. Ob sie öfter Taxi fahren? „Hin und wieder“, antwortet sie. „Nach Feiern eigentlich immer.“ Herlitscke lobt: Das sei sehr vernünftig. Über die Rumpelpiste der Weißenfelser Straße geht es auf das Lichtermeer des Chemiewerks zu. Nach kaum mehr als fünf Minuten ist die Fahrt zu Ende. „Das macht 15,30 Euro“, sagt der Taxifahrer. Er bekommt 16 Euro. Viel höher werden die Trinkgelder in dieser Nacht nicht mehr.

Jetzt im Winter seien die Fahrgäste knausriger, berichtet Herlitschke aus seiner siebenjährigen Berufserfahrung. Ursprünglich kommt der 60-Jährige aus dem Handel, leitete mehr als ein Jahrzehnt sogar Supermärkte. Zum Ruhestand hin, habe er aber lieber ein ruhigeres Angestelltenverhältnis gesucht. Mit der Wahl Taxifahrer scheint er nicht unglücklich. Er arbeite im Schichtsystem. Drei Tage Tag,-, drei Tage Nachtschicht, drei Tage frei. Er mag die Mischung. „Nachtschichten stören mich nicht. Die Zeit in der man müde würde, habe man eh zu tun.“

Taxifahren in Merseburg: Nachts sind die Straßen frei

In dieser Nacht folgen die Aufträge dicht getaktet. Die nächsten Fahrgäste, ein Pärchen, das zu Besuch bei Freunden war, will von Leuna nach Halle. Der Mann ist skeptisch. Es sei für ihn die erste Fahrt auf der Strecke, hinzu seien sie mit der Linie 5 gekommen. Bei der Recherche im Netz sei er auf verschiedenen Routen und Preise gestoßen. Keinesfalls will er über die Autobahn nach Heide-Süd fahren. Der Fahrer solle ihm stattdessen in Ammendorf den aktuellen Preis sagen, dann entscheide man weiter.

Auf der grünen Welle surft Herlitschke die B91 gen Norden. „Das ist nachts der Vorteil, die Straßen sind frei.“ Am südlichen Stadtrand von Halle steht das Taxameter bei knapp über 30 Euro. „Die Frau hat entschieden: Wir fahren nach Hause“, verkündet der Fahrgast und übernimmt sogleich die Navigation durch das hallesche Baustellenlabyrinth. Herlitschke folgt den Direktiven ohne Widerspruch, obwohl er bezweifelt, dass der Kunde wirklich die kürzeste Route weist. „Der Fahrgastwille hat Vorrang.“

Taxifahrer sind die unterschiedlichsten Typen gewöhnt

Als Taxifahrer ist er die unterschiedlichsten Typen gewöhnt. Manche würden durchgehend reden, anderen sehe man schon am Gesicht an, dass sie nicht angesprochen werden wollen. Echte Problemfälle unter den nachts oft alkoholisierten Gästen seien die Ausnahme. „Wenn wirklich mal jemand ausrastet, halte ich an und schmeiße ihn raus. Wer nicht friedlich sein will, muss halt Fußgänger werden.“ Bei den meisten reiche aber eine Ermahnung.

In dieser Nacht sind die Gäste handzahm. Kurz vor 1 Uhr rauscht das Funkgerät. Eine Frau will vom Hauptbahnhof nach Halle. Herlitschke wartet schon vor Ort. Die Kundin wirkt abgekämpft. Langer Freitag im Nova Eventis, erklärt die Verkäuferin. Eigentlich fahre sie ja mit der Bahn nach Hause, doch so spät fährt kein Zug mehr. Die halleschen Straßen sind mittlerweile menschenleer. Am Südstadt-Center überquert ein Fuchs die Fahrbahn. Kurze Zeit später folgt der obligatorische Hase.

Zurück in Merseburg rauscht erneut das Funkgerät. Ein Kurzfahrt zum Rentnerhochhaus. Die ältere Dame drückt Herlitschke schon beim Einsteigen das Geld in die Hand. Sie unterhalten sich über Neuigkeiten beim Job der Frau. Eine Stammkundin, erklärt der Fahrer. Nach drei Minuten steigt die Frau aus dem Taxi aus und die Treppen hoch in den wohlverdienten Feierabend. Eine fahrgastlose Stunde später, darf auch Herlitschke den Schlüssel ans Brett hängen. (mz)