Syrer in Merseburg Syrer in Merseburg: Der unerfüllbare Wunsch des Aladin Nasr

Merseburg - Grund genug zur Freude hat Aladin Nasr: Der 20-jährige Syrer holt gerade seinen Realschulabschluss nach und hat dabei gute Erfolge. Er hat sich in einer Fahrschule angemeldet und die theoretische Prüfung ohne einen einzigen Fehler bestanden.
Und seine fünfjährige Nichte durfte er zusammen mit ihrer Mutter vor gut einem halben Jahr endlich in die Arme nehmen: Ihnen wurde nach zwei Jahren des Wartens der Familiennachzug zu Aladins Bruder Nuoraldin erlaubt.
Aladin Nasr floh 2015 aus Syrien
Alles das weiß der junge Mann aus Merseburg zu schätzen, der Ende 2015 über den gefährlichen Weg über das Mittelmeer aus Syrien geflohen war - gemeinsam mit seinem Bruder. Beide hatten dafür nur einen Grund: Sie wollten vor dem Krieg fliehen, in den die jungen Männer als Soldaten rekrutiert worden wären. „Deswegen können wir auch nicht zurück. Wir würden verhaftet und müssten dann in den Krieg ziehen“, sagt Aladin.
Dass er ihm in Deutschland Asyl gewährt wird, dafür ist der sportliche junge Mann sehr dankbar. Doch eines nagt immer mehr an ihm: „Mein größter Wunsch ist, meine Eltern wieder zu sehen.“ Das wird jedoch nach dem Stand der Dinge ein Traum bleiben: Er oder sein Bruder können nicht einfach ein Besuchsvisum für die Eltern beantragen.
Das müsste ein Deutscher machen, der gleichzeitig auch die Bürgschaft übernimmt, alle Kosten zu tragen - notfalls auch die, die entstehen, wenn die Eltern ebenfalls Asyl in Deutschland beantragen würden. Ein Familiennachzug ist ebenso ausgeschlossen: weil Aladin, sein Bruder und auch die ebenfalls geflüchtete Schwester volljährig sind.
Aladin Nasr wohnt mit seinen Geschwistern in Merseburg
Aladin erzählt von seinem Alltag: Alle drei Geschwister wohnen wie er in Merseburg, normalerweise besuchen sie sich täglich. Im Moment hat Aladin dafür weniger Zeit - wegen der Schule, für die er viel Zeit zum Lernen investiert. Aber am Wochenende kochen die Geschwister gemeinsam, verbringen Zeit zusammen und rufen auch oft gemeinsam ihre Eltern an. „Ja, meine Geschwister sind hier. Aber beide sind verheiratet, haben ihre Familien hier. Ich bin der Jüngste und nicht verheiratet“, sagt Aladin. Deswegen bedeuteten ihm die Eltern eben doch noch viel mehr.
Als Moslem feiert Aladin kein Weihnachten, aber er erzählt von den beiden großen islamischen Festen, dem Zuckerfest im Sommer und dem Opferfest, das in diesem Jahr im September stattgefunden hat. Mehrere Tage lang wird gefeiert und gemeinsam gegessen. „Das macht alles keinen Sinn, wenn die Mutter nicht dabei ist“, bedauert Aladin.
Auch wenn beides eigentlich schöne Feste sind, bei denen ganz besondere Speisen auf den Tisch kommen, etwa die Süßigkeit „Mamol“, ein mit Datteln gefülltes Küchlein, wahlweise auch mit Pistazien gefüllt. Die gibt es fertig zu kaufen, aber da ist der 20-Jährige nicht anders als andere junge Menschen - die besten Leckereien macht eben doch die Mutter.
„Man sieht hier in Deutschland, wie sich die Leute auf das Wochenende freuen“
Überhaupt sind diese mehrtägigen Feste für Moslems etwas besonders. „In Syrien gibt es immer nur einen freien Tag in der Woche, das ist der Freitag“, sagt Aladin. In Deutschland gleich zwei freie Tage am Wochenende zu haben, das war schon eine Umstellung. Natürlich keine schlechte: „Man sieht hier in Deutschland, wie sich die Leute auf das Wochenende freuen“, hat Aladin beobachtet.
Und einen weiteren Unterschied gibt es. Familie, die wird in der arabischen Welt ganz, ganz groß geschrieben. Aladins Bruder Nuoraldin zeigt ein Video, das bei der Ankunft seiner Frau und Tochter auf dem Berliner Flughafen entstanden ist: Die beiden werden mit Herzchen-Luftballons, Blumen und einer unglaublich riesigen Freude von der ganzen Familie besucht. Es fließen Freudentränen, das Umarmen findet kein Ende.
Nichte von Aladin Nasr hat keinen Kindergartenplatz
Auch im Alltag stehen die Geschwister füreinander ein. So hat sich Aladin mehrfach dafür eingesetzt, dass seine fünfjährige Nichte einen Kindergartenplatz bekommt. Vergeblich. Die Kleine schaut oft aus ihrem Zimmer auf den Spielplatz des Kindergarten, der gleich nebenan ist. Und genau das macht sie traurig: „Ich will auch in den Kindergarten und Deutsch lernen“, sagt sie oft zu ihrem Vater. Dringend nötig wäre es, denn Massa wird im kommenden Jahr in die Grundschule eingeschult. Momentan spricht sie nur wenige Worte Deutsch.
Und Aladin weiß, wie wichtig es wäre, die Sprache zu lernen: „Sie hat sonst keine Chance.“ Genau das hat er auch für sich selbst erkannt, als er vor über zwei Jahren nach Deutschland gekommen ist. Das Warten auf einen Deutschkurs hat ihm zu lange gedauert - er hat sich so selbst um einen Sprachkurs an der Volkshochschule gekümmert. Später besucht er einen weiterführenden Kurs bei einem Bildungsträger und spricht so nach relativ kurzer Zeit sehr gut Deutsch.
Aladin Nasr hilft bei Deutschkursen
Diese Kenntnisse hat er von Anfang an nicht nur für sich erworben. Vielmehr hat er anderen Flüchtlingen dabei in Behörden und sogar bei Krankenhausaufenthalten weitergeholfen und für sie gedolmetscht. Im internationalen Frauencafé des Kirchenkreises in Merseburg hilft er ebenfalls bei Deutschkursen, betreut dort Kinder und ist immer zur Stelle wenn andere seine Hilfe brauchen. Für dieses Engagement ist Aladin Nasr in diesem Jahr in Halle mit dem Bürgerpreis „Der Esel, der auf Rosen geht“ ausgezeichnet worden.
Jetzt hofft er, dass sich seine Geschwister und deren Familien auch bald so gut in Deutschland zurecht finden wie er selbst. Nach langer Wartezeit sind nun seine Schwägerin und seine Schwester Teilnehmer in Deutschkursen, ebenso sein Schwager, der in Syrien als Fotograf tätig war: „Die deutsche Sprache ist der Schlüssel für das Leben hier.“ (mz)