Saalekreis Saalekreis: Aenny übernimmt das Sehen
RODDEN/MZ. - Sie fallen auf, wenn sie unterwegs sind. Robert Leske, groß, schlank, aufrecht, meist mit dunkler Brille. Aenny, die fünfjährige Schäferhündin mit dem markanten weißen Geschirr, die sich konzentriert ihren Weg bahnt. Und die junge Frau mit dem kurzen dunklen Haar an der Seite des Mannes. Bärbel Rockrohr aus Rodden lernte ihren Partner vor sieben Monaten über eine Anzeige kennen.
"Da stand, dass ein erblindeter junger Mann eine Frau sucht, die ihm hilft, die Farben des Lebens wieder zu entdecken", schmunzelt sie. Warum nicht, sei der spontane erste Gedanke gewesen. Aber vielleicht machte da jemand einen Scherz? Die Zeitung war schon im Papierkorb gelandet, als Bärbel Rockrohr (45) beschloss: "Eine mail kannst du ja mal schicken."
Drei Wochen später waren beide fest entschlossen, sich unbedingt kennen zu lernen. "Und bei der ersten Begegnung hat es sofort gefunkt", denken sie an diese Stunde. Seit Februar lebt der gebürtige Franke nun mehr in Sachsen-Anhalt als in Bayern und will demnächst komplett umziehen. "Ich habe hier so viele nette und herzliche Menschen getroffen", erzählt Leske. Zuallererst natürlich Bärbel, deren drei Kinder, die Familie, Freunde und Bekannte. Aber auch Nachbarn und andere Leute.
Vor fünfeinhalb Jahren verlor der heute 40-Jährige bei einem schweren Autounfall sein Augenlicht. Als er im Krankenhaus erwachte, war Dunkelheit um ihn. Der Sehnerv ist durchtrennt, es besteht keine Hoffnung auf Heilung, sagt er. Es hat seine Zeit gedauert, bis er das akzeptieren konnte. Doch mehrere Augenärzte renommierter Kliniken, die er konsultierte, stellten die gleiche Diagnose.
Im Leben vor der Erblindung war Robert Leske ein erfolgreicher Geschäftsmann, aktiver Sportler. Ein zielstrebiger, ehrgeiziger Mensch, der seine Ziele konsequent verfolgt. Diese Eigenschaften halfen ihm jetzt, sich in der Welt neu zurechtzufinden. Das geht nicht ohne Hilfsmittel, vor allem technische Geräte wie Computer mit Spracherkennung. Er erlernte auch die Braille-Schrift. "Das Alphabet kann ich", erzählt er. "Flüssig lesen klappt aber nicht, für eine Zeitung oder ein Buch brauchte ich ewig."
Vor allem mit Aenny, die speziell für ihn zwei Jahre lang ausgebildet wurde, veränderte sich sein Leben sehr. "Das ist eine riesengroße Zeitersparnis", schätzt er ein. Mit dem Blindenstock könne er sich nur langsam tastend vorwärts bewegen. "Wenn er mit Aenny unterwegs ist, laufen sie richtig schnell", hat Partnerin Bärbel beobachtet. Der Hund erkennt Hindernisse, weiß zum Beispiel, wie ein Briefkasten aussieht und findet die Bushaltestelle. Als Blindenhund darf er überall mit hin, zum Arzt, in den Passagierraum im Flugzeug oder das Lebensmittelgeschäft. Das steht auch eindeutig so im Gesetz. "Aenny ist ja kein Haustier wie ein normaler Hund", betonen beide.
Das wollen andere nicht immer verstehen. So erzählt Bärbel Rockrohr von dem langem aufreibenden Kampf, den sie führen musste, damit Robert sie zu einer Kur begleiten darf. "Gar nicht die gesamte Zeit, nur eine Woche, damit er nicht so lange allein bleiben muss", erklärt sie. Die Genehmigung für ihn wurde zwar problemlos erteilt, nicht aber für Aenny. Erst die Intervention beim Patientenbeauftragten der Bundesregierung war erfolgreich.
Vor diesem Hintergrund ist der Wirkungskreis, den sich Robert Leske inzwischen gesucht hat, umso wichtiger. An drei Tagen in der Woche besucht er in seiner "alten Heimat" in Bayern mit Hündin Aenny Schulen, Einrichtungen und Firmen. Er informiert über die Ausbildung und Tätigkeit von Blindenhunden. Das möchte er künftig auch gern hier in der Region anbieten. "Ich mache das ehrenamtlich", sagt er. "Es kostet nichts."
Nur Zuhause darf Aenny auch mal rennen und über die Wiesen jagen. Beim Spaziergang durch die Flur rings um Rodden kann man sie treffen - Bärbel Rockrohr, Robert Leske und seine Hündin.