Razzia Razzia: Albtraum in den Morgenstunden
Obhausen/MZ. - Die Scherben der zertrümmerten Balkontür liegen in einer Plastikwanne, die gröbsten Schäden hat Familie Müller bereits beseitigen lassen. "Das ist wie ein Albtraum. Sehen wir denn wie Verbrecher aus", fragt Dörte Müller, sichtlich gezeichnet von den Vorfällen am frühen Dienstagmorgen.
Das schmuck sanierte und gepflegte Mehrfamilienhaus in Obhausen bei Querfurt liegt direkt neben dem Grundstück, von dem aus ein mutmaßlicher Drogendealer seine Geschäfte machen soll, wie Ermittler der Polizei sagen. "Im Dorf weiß das jeder. Wir hatten uns schon gewundert, dass die Polizei noch nichts dagegen unternommen hat", erzählt die Mitarbeiterin einer Krankenkasse.
Bis zu diesem Morgen. Gegen 7 Uhr hatte der Einsatz begonnen. Schwer bewaffnete Polizisten eines Sondereinsatzkommandos legten eine Leiter an den Balkon und stürmten nur Sekunden später in das Wohnhaus. Alles passierte blitzschnell. "Wir wussten nicht, was passiert", berichtet Matthias Müller, Techniker bei einer Firma für mikrobiologische Bodensanierungen. Er ist sichtlich um Fassung bemüht, will seiner Familie Stärke geben. Das ist auch notwendig. "Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht", klagt die Ehefrau.
Alles ging blitzschnell. Erst habe es einen dumpfen Knall gegeben, dann sei Gestöhne zu hören gewesen. Einer der Zwillinge, 17 Jahre alt, sei die Treppe nach oben ins Schlafzimmer der Eltern gerannt - vermummte Personen hinterher. "Er hat geschrien, dass Einbrecher im Haus seien. Und ich dachte wirklich, dass uns ein Trupp Verbrecher überfällt. Dass es sich um Polizisten handelt, wussten wir nicht. Sie hatten sich anfangs nicht zu erkennen gegeben. Es war furchtbar", sagt Dörte Müller. "Ich will mir gar nicht vorstellen, was alles hätte passieren können", schildert sie. Es hätte ja auch einer der Beamten schießen können.
Das Ehepaar und seine Söhne wurden aufgefordert, sich auf den Boden zu legen. Einer der Jungen lag in der Küche in den Scherben der zerstörten Balkontür, die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Er musste später im Krankenhaus behandelt werden. Die Beamten hatten ihn mit Pfefferspray traktiert. In der Klinik werden die Augen gewaschen. Der Schüler klagt zudem über Schmerzen an Bein und Rücken, soll deshalb noch genauer untersucht werden. Dennoch will er am Mittwoch wieder zur Schule gehen.
"Doch das Schlimmste für mich ist, dass derjenige, um den es hier eigentlich ging, mit seinem Hund weiter durch den Ort spazieren darf", sagt Dörte Müller. Sie ist vorerst krank geschrieben. Die Familie hat die kaputte Balkontür notdürftig flicken lassen. Ein Tischler hat dort zunächst eine Scheibe aus Plexiglas eingesetzt.
Matthias Müller hat Anzeige erstattet. Zunächst richtet sie sich gegen unbekannt, "weil die Polizisten keine Namensschilder getragen haben." Laut Ralf Karlstedt, Sprecher der Polizeidirektion in Halle, die die Untersuchungen führt, sollen zunächst alle Beamten befragt werden, die an dem Panneneinsatz beteiligt gewesen sind. Erst danach könne man sagen, was in Obhausen schiefgelaufen ist und welche Konsequenzen es gebe, sagt er am Abend der MZ.