Merseburger Amtsgericht Merseburger Amtsgericht: Ausstellung zeigt Einzelschicksale der Opfer der NS-Zeit

MERSEBURG/MZ - Wenn jemand ein Verbrechen begeht, wird er bestraft. Allerdings sah eine gerechte Strafe zu Zeiten des Nationalsozialismus noch anders aus als heute: Das Hören „feindlicher Sender“ beispielsweise wurde vom halleschen Sondergericht mit mehreren Jahren Zuchthaus bestraft. Im Fall von Paul Föhre aus Schkopau im Jahr 1943 waren es sechs Jahre Zuchthaus und sechs Jahre Ehrverlust. Eine Dokumentation vieler solcher Einzelschicksale aus Merseburg und Umgebung zu Zeiten des Nationalsozialismus kann ab Montag 11 Uhr im Merseburger Amtsgericht in der Geusaer Straße besichtigt werden. Die Wanderausstellung mit dem Namen „Justiz im Nationalsozialismus. Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes“ beschäftigt sich mit der Justizgeschichte in Sachsen-Anhalt während der NS-Zeit.
„Die Schau zeigt, welch ein hohes Gut unser Rechtsstaat ist“, erläuterte Ute Albersmann, Sprecherin des Justizministeriums Sachsen-Anhalt. „In der NS-Zeit diente die Justiz den Nationalsozialisten“, fügte Michael Viebig, Projektleiter in der Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle, hinzu. „Die Richter waren eingeschworen und erließen Verordnungen, die es ihnen erlaubten, Menschen zu verurteilen, die keine Verbrechen begangen haben“, erläuterte er. „Was wäre heute, wenn es schwer bestraft werden würde, die falsche Musik zu hören?“, fragte Albersmann. Aus diesem Grund sei es auch einfach für Jugendliche, sich in das Thema einfühlen zu können. Mehrerer Schüler aus den Merseburger Gymnasien haben sich freiwillig bereit erklärt, Besucher durch die Ausstellung zu führen.
Carolin Schier aus der zehnten Klasse des Merseburger Domgymnasiums gehört dazu: „Ich finde, dass das Thema Nationalsozialismus im Unterricht zu kurz kommt. Ich möchte mein Wissen darüber erweitern“, sagte sie der MZ. Dabei sei die Möglichkeit ideal, vor fremden Menschen das Reden zu üben. In der Woche zuvor wurden die vier Schüler von der Geschichtswerkstatt Merseburg in einem Lehrgang für das Thema fit gemacht. „In der Einführung wurde uns sehr viel erzählt. Wir hätten noch Stunden weiter reden können“, berichtete Stefan Pohl, Schüler am Herdergymnasium. „Es ist immer gut, seinen Horizont zu erweitern, deswegen mache ich hier mit.“ Für ihn sei es ein fesselnder Stoff, den man nicht vergisst: „Deswegen bin ich auch nicht nervös, die Ausstellung den Besuchern zu zeigen.“
Peter Mertens, Direktor und Richter am Amtsgericht Merseburg, hält die Ausstellung für eine Bereicherung im Gericht: „Es ist selbstverständlich, dass wir uns wie andere Gerichte in Sachsen-Anhalt an der Ausstellung aktiv beteiligen. Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, sich so etwas anzusehen.“
Laut Viebig sei beeindruckend gewesen, dass bei der Recherchearbeit in fast jedem Ort Familienangehörige dieser Justizopfer gefunden wurden: „Wir haben uns beispielsweise mit der Tochter eines Mannes unterhalten, der zur NS-Zeit hingerichtet wurde, weil er angeblich einen anderen Mann niedergestochen hatte. Seine damals zehnjährige Tochter war bei der Situation dabei und konnte sehen, dass es ihr Vater nicht war. Erst jetzt haben wir aber Dokumente gefunden, die zeigen, dass auch die Richter keine Beweise für die Schuld des Mannes hatten. Das interessierte aber damals niemanden.“ Bewegende Geschichten könne man sich auf den Tafeln der Ausstellung anschauen und Geschichte vor Ort erleben - „Denn auch hier gab es Menschen, denen Unrecht angetan wurde“, so Albersmann.