Merseburg und Schafstädt Merseburg und Schafstädt: Das Aus für die Bahnstrecke

Schafstädt - „Hätten wir nicht alle Straßen erneuert, wäre George Clooney zu uns gekommen“, sagt Schafstädts Bürgermeister Klaus Andres (CDU) mit einem Lachen und denkt an den im Zweiten Weltkrieg spielenden Streifen „The Monuments Men“, den der Hollywood-Star im vergangenen Jahr unter anderem in Merseburg gedreht hatte.
Wie im Kriegsgebiet
Sein Blick fällt auf den Giebel eines heruntergekommenen Hauses an der Durchgangsstraße, dessen Mauerwerk wie nach einem Bombeneinschlag wirkt. Es ist ein Bild, das sich Besuchern an vielen Ecken des Bad Lauchstädter Ortsteils bietet: Wer erstmals durch Schafstädt fährt, könnte meinen, er befände sich im Kriegsgebiet.
Eigentlich wollte die Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt (Nasa) mit Flugblättern und Postern Kunden auf die Stilllegung der Strecke und Umstellung auf Busverkehr vorbereiten. Doch diese Maßnahme lässt bis heute auf sich warten. „Es hat etwas gedauert, bis die neuen Fahrpläne feststanden“, erklärte gestern Nasa-Sprecher Wolfgang Ball. „Das ist sehr bedauerlich, aber die Materialien befinden sich inzwischen im Druck und sollten ab kommender Woche verteilt werden, um auf die Veränderungen hinzuweisen“, sagte er.
In den vergangenen Jahren ist in dem Städtchen viel liegen geblieben, weil das Geld fehlte. An diesem Samstag wird Schafstädt nun noch weiter abgekoppelt, wenn die Burgenlandbahn die Zugverbindung nach Merseburg kappt. Das sollte bereits 2007 passieren, doch Andres kämpfte mit Mitstreitern vehement damals für den Erhalt. Angesichts der weiterhin geringen Auslastung fährt die Bahn am Samstagnachmittag nun aber doch ein letztes Mal.
Der Wegfall der Bahn ist für Schafstädt ein schwerer Schlag. War die Stadtentwicklung doch stets eng mit der Bahn verbunden. „Schafstädt war einmal steinreich“, erzählt Ortschronist Jochen Hedler. Mehrere Großbetriebe, darunter eine Zuckerfabrik, eine Molkerei und Ziegelei sowie ein Eisenwerk verhalfen dem Städtchen einst zur Blüte, wie Hedler erzählt. Nur wegen der Industrie war die Strecke 1896 gebaut worden. Erst zehn Jahre später wurden auch Personen befördert. Im Gegensatz zu heute verkündete man damals, am 26. März 1897: „Der Omnibus-Verkehr welcher seit langer Zeit zur Beförderung von Postsachen eingerichtet war, wird vom 1. April an aufhören, weil diese altersgraue Einrichtung durch die neu geschaffenen Bahnlinien überflüssig geworden ist.“ Heute soll nun also die Bahnlinie überflüssig sein.
Eisenwerk hatte eine große Bedeutung
Insbesondere das Eisenwerk hatte eine große Bedeutung für die Bahnlinie, wurden dank des Anschlusses an das Reichsbahnnetz zahlreiche Güter transportiert, bis 1911 laut Chronik allein 170 Lokomotiv-Drehscheiben und 157 Kolenladekräne. „Bis zur Weltwirtschaftskrise lief alles gut“, erzählt Andres. Dann schloss das Eisenwerk seine Tore. Die Enteignungen in den 1960er Jahren und die Nachwendezeit gaben die einst prächtigen Villen und Gutshöfe endgültig dem Verfall preis. „Viele Häuser haben heute ihren vierten Besitzer“, erzählt der Bürgermeister. „Und als Kommune haben wir keine Handhabe, um am baulichen Zustand etwas zu ändern“, erklärt er. Als Beispiel nennt er das Kino. „Es hatte einen prächtigen Saal, war ein zentraler Anlaufpunkt.“ Heute befindet es sich in fünfter Hand, gehört einem Polen. Das Dach wurde zum Teil abgetragen, um eine Gefährdung auszuschließen. Direkt gegenüber steht die historische Adler-Apotheke, die immerhin noch bewohnt wird. In einem Teehaus dahinter soll Goethe einst einen Kaffee getrunken haben.
Die letzte Fahrt der Burgenlandbahn von Merseburg nach Schafstädt am Samstag um 14.48 Uhr soll nicht lautlos über die Bühne gehen. Denn der städtische Musikverein Merseburg will die Strecke laut einer Ankündigung mit Blasmusik verabschieden. Schafstädts stellvertretenden Ortsbürgermeister Michael Kuhles (CDU) tröstet das wenig: „Auf der Titanic haben sie auch bis zum Schluss gespielt“, meint er spöttisch mit Blick auf die Stilllegung. (mz)

