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Kein Auge zu Merseburg: Glocken der Stadtkirche läuten mitten in der Nacht

Von Undine Freyberg 07.02.2017, 15:01
Die Glocken der Stadtkirche
Die Glocken der Stadtkirche Peter Wölk

Merseburg - Hans-Jürgen Nemz hat eine schöne Wohnung am Merseburger Entenplan. Und auch eine wunderbare Aussicht auf die Stadtkirche. Prinzipiell liebt er die Kirchen der Stadt und den Klang der Glocken. „Aber muss es wirklich sein, dass man auch nachts jede volle Stunde daran erinnert wird, wie spät es ist?“, fragt der Merseburger.

Stadtkirche in Merseburg läutet 16 Mal um Mitternacht

Man möge ihn nicht falsch verstehen: Er habe nichts gegen die Kirche, schließlich sei er ja selbst Mitglied der Kirchengemeinde. Aber es gebe keinen vernünftigen Grund, dass die Kirchenuhr den Anwohnern die ganze Nacht hindurch einen unruhigen Schlaf beschert - er schlafe ja bei offenem Fenster. Selbst um Punkt Mitternacht schlage die Glocke der Stadtkirche 16 Mal. Zwölfmal für die zwölfte Stunde und viermal für jede Viertelstunde.

„Wir leben im Zeitalter der Technik und des Computers. Da kann man doch vermutlich programmieren, dass das Schlagwerk von 22 Uhr bis 6 Uhr früh ruht, oder?“, fragt Hans-Jürgen Nemz. Er habe darüber bereits mit dem Dompfarrer gesprochen, und dieser habe es in einer Gemeinderatssitzung ansprechen wollen. Was er auch getan hat, wie  die MZ von Martin Eberle erfuhr.

Es hapert an der Technik: Glocken können nachts nicht ausgeschaltet werden

„Der Gemeindekirchenrat hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die Glocken nachts läuten müssen oder nicht.“ Und man habe auch recherchiert, ob man die Glocken im Zweifel nachts ruhen lassen könnte.

„Das geht nicht, denn dafür fehlen die technischen Voraussetzungen. Es geht nur ganz oder gar nicht“, erklärt Eberle. Um die Glockenschläge nachts unterbrechen zu können, müsste man eine entsprechende technische Vorrichtung einbauen lassen, was allerdings rund 3.000 Euro kosten würde. „Das Geld haben wir nicht.“

Dompfarrer verweist auf Tradition der Glockenschläge.

Viel wichtiger sei für ihn allerdings etwas anderes. „Das Anzeigen der Zeit durch die Kirchenglocken ist Teil der Geschichte und hat eine lange Tradition“, sagt Martin Eberle. Früher erfuhr man dadurch zum Beispiel, wann es Zeit war, zur Arbeit zu gehen oder Mittagspause zu machen. Selbst zu DDR-Zeiten seien die Glocken der Stadtkirche durchweg zu hören gewesen. „Die Frage ist doch: Was bedeutet uns der Stundenschlag, der nicht zu verwechseln ist mit dem Glockengeläut zu besonderen Anlässen wie Gottesdiensten. Wollen wir die Tradition bewahren oder abschaffen?“

Sicherlich - wer näher an der Kirche wohne, höre die Glockenschläge auch lauter. Aber wer in die Nähe einer Kirche ziehe, wisse in der Regel auch, dass dort Kirchenglocken zu hören sein werden. Die Frage, ob die Glocken auch weiterhin erklingen sollen, sollte alle Bürger der Stadt Merseburg beschäftigen, nicht nur die Christen, meinte Eberle.

Anwohner geht es jedoch ums Prinzip

„Auch wenn nur wenige Merseburger am Entenplan oder anderen angrenzenden Straßen ihr Schlafzimmer unmittelbar zur Kirche hin haben, so ist es doch eine prinzipielle Sache, die Nachtruhe zu wahren“, meint Hans-Jürgen Nemz. Selbst in Bayern, wo es nachweislich mehr Gläubige gebe als hierzulande, würden mancherorts die Glocken nachts schweigen.

Die Glocken des Merseburger Doms machen der Stadtkirche übrigens keine Konkurrenz. Sie erklingen nur bei besonderen Gottesdiensten und Feiertagen und an jedem Morgen um acht. (mz)