Merseburg Merseburg: Gab es früher eine unterirdische Stadt?

Merseburg/MZ - Pferdefuhrwerke sollen vor Jahrhunderten unter der Saale nach Meuschau entlanggefahren sein. Vom Dom aus soll es einen direkten Weg im Untergrund zum Gotthardteich gegeben haben. Solche und ähnliche Geschichten halten sich beständig in Merseburg. Kilometerlange Kellergänge? Eine Stadt unter der Stadt? Was ist dran an den Erzählungen?
„Ich halte diese Geschichten nach dem jetzigen Stand der Dinge für Legenden“, sagt Peter Ramm vom Altstadtverein. Auch er habe immer wieder von Verbindungsgängen zwischen einzelnen Kellern gehört, sagt Ramm. Ein Blick in die Keller der Domstadt zeigt: Verbindungsgänge hat es auf jeden Fall gegeben. Die Gänge und Räume unter dem Kunsthaus „Tiefer Keller“ sind über 350 Meter lang. Sie sind verwinkelt und führen über mehrere Ebenen. Es ist feucht und kalt. Wie hier soll es auch im Sixti-Viertel unterirdische Gewölbe gegeben haben. Bevor dort großflächig Neubauten entstanden, wurden die allerdings weggerissen.
„Die ältesten Keller Merseburgs wurden auf das 12. Jahrhundert datiert“, sagt Holger Leidel vom „Tiefen Keller“. Eine Doktorarbeit aus den 60er Jahren hat sich mit dem Thema eingehend befasst. „Damals wurden fast 500 alte Gewölbekeller in der Stadt gezählt. Das ist auch kein Wunder, viele Haushalte hatten damals Braurecht und benötigten die Keller als Lagerraum für Bier, Hefe und andere Lebensmittel“, sagt Leidel. Selbst Brunnen wurden dort gebohrt.
Die Architektur ist clever gemacht. Die Sandsteinmauern nehmen die Feuchtigkeit der Erde auf. Schächte sorgen für ständige Be- und Entlüftung. „Dadurch ist es hier immer gleichmäßig kühl, selbst im Hochsommer“, so Leidel. Der Inhaber der Domgalerie lagert noch heute die Kartoffeln hier unten. Auch unter der Domapotheke sind die Keller kühl und feucht. Eine Mauer versperrt dort aus Sicherheitsgründen den Zugang zum benachbarten Sozialamt. Es gibt Gerüchte, dass man früher unter Tage bis zur heutigen Willi-Sitte-Galerie gelangen konnte. Dort befindet sich zumindest ein Kellergang, der im Nichts endet.
„Viele Keller wurden wahrscheinlich wirklich verbunden, allerdings erst im Zweiten Weltkrieg, als die Gewölbe als Fluchtmöglichkeit und Luftschutzkeller benutzt wurden“, sagt Historiker Peter Ramm. Seiner Meinung nach gab es in der Domstadt nie ein systematisches unterirdisches Labyrinth, vielmehr seien die Keller im Laufe der Jahrhunderte immer weiter bergmännisch vorgetrieben worden. Irgendwann kam es dann zu Berührungspunkten. Und die Erzählung vom Pferdefuhrwerk unter der Saale? Holger Leidel glaubt nicht wirklich daran, hält einen Tunnel unter dem Fluss aber für technisch möglich. „Geologisch wäre das kein Problem, es gibt eine Tonschicht, die das Wasser abhalten würde.“ Die Geschichten zum unterirdischen Merseburg könnten also doch stimmen - zum Teil.