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Corona Long Covid im Saalekreis: Die Krankheit danach

Das Virus verlässt den Körper. Doch die Probleme bleiben. Bettina Wilms, Chefärztin im Querfurter Basedow-Klinikum erklärt, wieso sie mehr Patienten erwartet, wie sich die Klinik vorbereitet und warum die Medizin vieles noch nicht weiß.

Aktualisiert: 23.06.2022, 15:52
Offiziell genesen - und doch  nicht  fit. Ein Teil der Long-Covid-Betroffenen erlebt Atemprobleme.
Offiziell genesen - und doch nicht fit. Ein Teil der Long-Covid-Betroffenen erlebt Atemprobleme. Foto: Sina Schuldt/dpa

Querfurt/MZ - Der Saalekreis zählte bisher knapp 68.000 bestätigte Coronafälle. Die wirkliche Zahl der Infektionen könnte noch deutlich höher liegen. Manche Betroffene haben Glück, merken kaum etwas vom Virus in ihrem Körper. Andere haben noch Wochen und Monate nach der akuten Erkrankung körperliche oder auch seelische Probleme. „Post Covid“ oder „Long Covid“ heißt dieses Phänomen, auf das sich auch das kommunale Basedow-Klinikum in Querfurt und Merseburg mit Angeboten einstellen will. Robert Briest sprach darüber mit Chefärztin Bettina Wilms.

Long Covid, Post Covid, Fatigue-Syndrom werden als Folgen eine Coronainfektion gern in einem Atemzug verwendet. Meinen sie dasselbe?

Bettina Wilms: Nein, das sind drei unterschiedliche Dinge, die aller Wahrscheinlichkeit nach aber Schnittmengen haben, oft aber gleichermaßen als Synonym verwendet werden. Fatigue kennen wir schon länger, gerade bei schweren körperlichen Krankheiten wie Krebs oder Viruserkrankungen, teils auch bei psychischen Erkrankungen. Damit ist eine erhöhte Müdigkeit und rasch eintretende Erschöpfbarkeit gemeint. Long Covid ist die direkt an eine Coronaerkrankung anknüpfende Beeinträchtigung, wie wir sie zum Teil auch von anderen schwer verlaufenden Viruserkrankungen kennen.

Welche Probleme gibt es bei Long Covid häufig?

Ich muss betonen: Wir wissen bisher ganz vieles nicht. Luftnot und Kurzatmigkeit spielt da aber eine wichtige Rolle, auch körperliche Erschöpfung. Das gibt sich meist nach einigen Wochen.

Was bleibt ist Post Covid?

Das scheint vor allem eine Mischung aus Müdigkeit und rascher Erschöpfung mit zum Teil erheblichen kognitiven Einschränkungen, etwa beim Merken, bei der Konzentration, bei der Aufmerksamkeit, zu sein. Eine kleine Gruppe an Menschen scheint damit über viele Monate zu kämpfen zu haben, manche vielleicht auch dauerhaft. Es kommen aber auch psychische Dinge hinzu: Wenn jemand Antriebslosigkeit oder depressives Verhalten entwickelt hat, kann es eine Reaktion auf die Situation sein oder Folge des Verlaufs der Krankheit. Es gibt Leute, die haben durch Covid Angehörige verloren. Es gibt auch eine Gruppe, die Erlebnisse aus der Behandlung verarbeiten muss, etwa wenn sie über Wochen auf Ecmo-Beatmung angewiesen waren.

Was ist das?

Wenn die Lunge die Sauerstoffversorgung nicht mehr schafft, wird das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff versorgt. Solchen Bedarf, Behandlungserlebnisse zu verarbeiten, kennen wir auch von anderen langfristigen intensivmedizinischen Behandlungen, unabhängig von Covid.

Im vergangenen Jahr wurden eher körperliche Folgen unter dem Namen Long oder Post Covid verstanden. Jetzt liegt der Fokus stärker auf kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen?

Da läuft eine große Diskussion. Die Frage ist, ob die Folgen somatisch oder psychisch sind. Ich denke, es wird sich in einigen Jahren herausstellen, dass sie beides sind. Man muss sich deshalb jeden Patienten einzeln angucken, wie man ihn behandelt. Aber wir erleben auch bei der Frage, wie man Patienten mit starker Müdigkeit, geringer Belastbarkeit umgeht, heftige Debatten. Einige Ärzte sagen, man sollte sich dann sechs Monate aufs Sofa legen. Andere sind dafür aktiv dagegen vorzugehen.

Wie würden Sie solche Patienten behandeln?

Ich bin absolut für eine moderate Aktivierung, aber in Verbindung damit, den Patienten in der Wahrnehmung seiner Leistungsfähigkeit zu schulen. Die meisten Patienten, die damit zu uns kommen, hatten vorher eine hohe Schlagzahl. Ihnen fällt es schwer, die jetzige Situation zu akzeptieren.

Das Basedow-Klinikum hat lange Zeit akute Coronafälle in Merseburg behandelt, Post- und Long Covid-Patienten dann in Querfurt. Wie viele Menschen kommen zu Ihnen?

Reine Long- und Post-Covid-Fälle hatten wir bisher wenig. Man muss auch sehen, dass wir bisher kaum eine ruhige Zeit ohne Coronainfektionen hatten. Wir haben daher erlebt, dass Menschen aktiv das Krankenhaus gemieden haben, entweder weil sie der Meinung waren, wir hätten gerade wichtigere Fälle zu behandeln oder weil sie Angst vor einer Infektion hatten. Viele Patienten machen die Probleme wohl gerade noch mit sich aus, andere scheuen eine Akutbehandlung, suchen eher die Reha. Wir haben aber auch einige Patienten, die so schwer betroffen sind, dass sie nicht arbeiten können. Und ich kann mir vorstellen, dass bald mehr Patienten mit Post Covid zu uns kommen.

Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Der Saalekreis war schwer, teils schwerst von Infektionen betroffen. Eine so große Zahl an Infizierten hatten wir bei anderen Viruserkrankungen bisher nicht. Wenn man davon ausgeht, dass jeweils ein bestimmter Anteil der Infizierten längerfristige Folgen hat, ist die Zahl dieser Betroffen natürlich absolut höher. Wir tun daher gut daran, wenn wir uns in den nächsten Jahren stark mit den Folgen der Pandemie sowohl für Senioren, als auch für Kinder und Jüngere befassen. Ein erster Schritt muss sein, dass jemand mit diagnostiziertem oder vermutetem Long/Post Covid sich hier vorstellen kann und sowohl somatisch als auch psychiatrisch behandelt werden kann.

Wie stellen Sie das sicher?

Aktuell können Patienten mit Long oder Post Covid in die Sprechstunden der Psychiatrischen Institutsambulanz kommen. Ab dem Sommer gibt es teilstationäre Möglichkeiten des Bereichs Psychosomatik. Am 1. September eröffnen wir eine neue Station für Psychosomatik in Merseburg mit 15 stationären Betten und 16 Plätzen in der Tagesklinik. Zusammen mit den 15 Betten in Querfurt haben wir dann 46 Behandlungsplätze, wo Menschen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zwischen Lungenheilkunde und sprechender Medizin individuell auf sie zugeschnittene Hilfe finden können.

Das heißt, die geplante Station ist nicht ausschließlich für Long-Covid-Patienten gedacht?

Nein, aber die Chefärztin, mit der ich die Klinik dann gemeinsam leite, hat schon Erfahrungen aus der Frühphase der Pandemie. Wir sind uns einig, dass es günstig ist, nach individualisierten Therapieplänen zu behandeln und nicht in einem starrem Schema. Denn wie gesagt, wir haben bei Long/Post Covid ein Mischbild. Die Atemprobleme können zum Beispiel bei einem Patienten zu 90 Prozent somatisch bedingt sein und zu zehn Prozent psychisch. Beim nächsten Patienten ist es umgekehrt. Unser Ziel ist es, ein flexibles Angebot entsprechend der Bedarfe zu schaffen. Parallel dazu planen wir eine Längsschnittstudie, die besonders die Folgen für Familien und Jüngere in den Blick nimmt.