Landgericht Halle Landgericht Halle: 21-Jährige ließ Baby im Gebüsch zurück

Halle (Saale)/MZ. - Sie gesteht freimütig, antwortet höflich auf Fragen des Gerichts, entschuldigt sich, als ihr einmal das Wort „dämlich“ herausrutscht. Von Tränenausbrüchen keine Spur. Yvonne K. soll für den Tod ihres eigenen Kindes verantwortlich sein und wirkt dennoch merkwürdig unbeeindruckt, als sie die Vorwürfe der Anklage bestätigt. Sie und ein Kind, diese Vorstellung, die Vorstellung vom Ausmaß der Tat, das sei bei ihr bis heute nicht angekommen, glaubt ihre Anwältin Sabine Grunow.
Staatsanwalt Hendrik Weber wirft der 21-Jährigen Totschlag vor. Sie habe am 11. November 2011 zwischen 23 und 24 Uhr nach einer verheimlichten Schwangerschaft im Bad Dürrenberger Ortsteil Tollwitz (Saalekreis) einen Jungen zur Welt gebracht und ihn aus diffuser Angst vor Problemen danach zusammen mit alten Kleidungsstücken in eine Plastiktüte gesteckt und auf dem Grundstück ihrer Großmutter im Gebüsch abgelegt. Das Baby sei vermutlich erstickt, als es mit der Kleidung bedeckt wurde, so Weber. Die Leiche des Jungen wurde vier Monate später von spielenden Kindern gefunden.
Yvonne K. hatte sich zwei Monate vor der Geburt von ihrem elf Jahre älteren Freund getrennt. Immer wieder hatte es Streit gegeben, sagt sie. Um Alkohol, um Geld - beide lebten von seinem Einkommen. Ja, sie habe Kinder gewollt, sagt K. Aber frühestens mit 25. „Ich habe mein Leben noch nicht mal im Griff gehabt.“ Dass sie schwanger sei, habe sie etwa im August bemerkt, es aber nicht wahr haben wollen. „Ich habe mich nicht bereit gefühlt. Die Beziehung war gerade vorbei, ich hatte keine Lehre, kein eigenes Geld.“ Dass sich ihr Körper verändert, habe sie ignoriert.
In allen Details schildert Yvonne K. dem Gericht die Geburt des Jungen im Haus ihrer Oma, bei der sie nach der Trennung untergekommen war. Wie sie anschließend mit den alten Sachen putzte, das Baby dabei „nicht mal richtig angeguckt“ und es schließlich mit den Kleidungsstücken in eine Mülltüte gesteckt und weggebracht hat. „Dann war alles so wie früher.“ Warum sie die Schwangerschaft niemandem anvertraut hat, kann Yvonne K. nicht so recht sagen. Ihre Familie sei nett, sie glaube heute, man hätte ihr geholfen, sagt sie. „Aber ich hatte irgendwie Schiss.“
Mutter, Tante, Oma sagen am ersten Prozesstag aus. Sie alle berichten, K. sogar nach einer Schwangerschaft gefragt, aber keine wirklichen Anzeichen dafür an der kräftigen jungen Frau bemerkt zu haben. Sie habe vermutet, eine Schwangerschaft könne zur Trennung geführt haben, sagt die Oma zur Verwunderung des Gerichts.
Aus den Schilderungen der Familie zeichnet sich auch ein Bild vom bisherigen Lebensweg der 21-Jährigen - aufgewachsen als jüngstes von vier Kindern in schwierigen Familienverhältnissen. Alkohol spielt eine Rolle, ein Aufenthalt im Frauenhaus, zwischenzeitlich zwei Jahre im Kinderheim. K. schließt eine Förderschule ab, fängt eine Ausbildung zur Kinderpflegerin an, die sie nach anderthalb Jahren abbricht. Ihr größtes Hobby: Fantasy-Romane lesen und selbst kleine Vampirgeschichten schreiben. Unselbstständig sei sie, sagt ihre Tante. Ohne Hilfe hätte sie Behördenwege wie beim Hartz-IV-Antrag oder die Suche nach einer eigenen Wohnung, in die sie im Dezember einzog, nicht hinbekommen. Yvonne K. lernt schließlich einen neuen Mann kennen. Als sie im März festgenommen wird, ist sie wieder schwanger - und treibt ab.Am nächsten Verhandlungstag sollen in dem Prozess voraussichtlich Gutachter zu Wort kommen.
