Kriegsgefangenenlager in Merseburg-Süd Kriegsgefangenenlager in Merseburg-Süd: Das vergessene dunkle Kapitel

Merseburg - Gegenüber der Gartenanlage wirken dichte Hecken wie ein Sichtschutz. Wer dann aber an das verschlossene Tor in der Straße Unter den Eichen herantritt, kann in den im Volksmund „Russenfriedhof“ genannten „Sowjetischen Ehrenfriedhof“ hineinschauen und sieht linkerhand einige Grabsteine. Darauf kyrillische Buchstaben und Zahlen aus dem Zweiten Weltkrieg.
„Doch hier liegen vor allem noch 261 russische Soldaten, die während des ersten Weltkrieges in Merseburg verstorben sind“, erklärt Dietmar Eißner vom Merseburger Altstadtverein. „Die meisten der Männer hatten im Kriegsgefangenenlager in Merseburg-Süd gelebt.“ Ein vergessenes Kapitel Merseburger Geschichte.
Wer im Lager starb, wurde bis Mitte 1917 noch auf dem Merseburger Stadtfriedhof beigesetzt
Wer im Lager starb, wurde bis Mitte 1917 noch auf dem Merseburger Stadtfriedhof beigesetzt - neben Russen natürlich zum Beispiel auch Franzosen oder Engländer. Am 1. Juli 1917 fand die erste Bestattung auf dem neu angelegten Friedhof in Süd statt. Der befand sich damals direkt dem Lager gegenüber. Und dort, wo einst das Lager war, ziehen heute Kleingärtner in der Anlage Pappelallee Tomaten und Blumen und genießen - wenn es nicht gerade zu warm ist - das schöne Wetter.
„Sie können ja mal fragen, wer von den Kleingärtnern überhaupt weiß, dass genau dort mal das Gefangenenlager war. Vermutlich nur wenige“, meint der 63-jährige Eißner, der sich bei den Projekten des Vereins anlässlich des 100. Jahrestages der Beendigung des Ersten Weltkrieges engagiert.
Kriegsgefangenenlager in Merseburg-Süd: Bis zu 10.000 Gefangene auf engstem Raum
Um auch an dieses kaum bekannte Kapitel Merseburger Geschichte zu erinnern , möchte der Altstadtverein am Friedhof zwei Informationstafeln errichten. Eine soll an das damals 25 Hektar große Areal erinnern, in dem bis zu 10.000 Gefangene auf engstem Raum zusammenleben mussten. Die zweite Tafel soll dem Friedhof gewidmet sein, auf dem bis zum Kriegsende 1918 nachweislich 284 Franzosen, 261 Russen, 87 Italiener, 38 Briten, 29 Portugiesen, vier Belgier und ein US-Amerikaner bestattet wurden.
Der Altstadtverein, der die Kosten für die Informationstafeln übernehmen will, würde das Projekt am liebsten bis zum 1. September, dem Weltfriedenstag, umsetzen. Ist das realistisch? MZ fragte beim Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes der Stadt Merseburg, Gerd Heimbach, nach. „Ich weiß nicht, ob das realistisch ist. Ich kann lediglich sagen, dass wir als Stadt gerade Angebote einholen. Und es ist ja auch nicht mit den Tafeln allein getan, die müssen ja auch ordentlich aufgestellt werden, möglicherweise mit einem kleinen Fundament.“
Laut Gräbergesetz Sachsen-Anhalt ist das Land für Kriegsgräber zuständig
Und selbst wenn die Tafeln nicht auf dem Friedhof selbst aufgestellt werden sollen, habe hier trotzdem die russische Botschaft ein Wörtchen mitzureden. „Und die Verhandlungen wollte meines Wissens das Land, also das Ministerium in Magdeburg, selbst führen.“ Denn bei allem, was den Friedhof betreffe, müsse das Einverständnis der Botschaft eingeholt werden.
„Ich hoffe, dass die Informationstafeln das Ganze zu einer Art Lernort machen werden“, sagt Dietmar Eißner und wünscht sich vielleicht noch eine Bank neben dem Eingang. „Und möglicherweise noch einen Hinweis, wo man den Schlüssel für den Friedhof bekommt, denn der ist ja normalerweise nicht zugänglich.“
Laut Gräbergesetz Sachsen-Anhalt ist das Land für Kriegsgräber zuständig. Im Falle des Ehrenfriedhofs wurde die Stadt Merseburg mit der Pflege beauftragt. Die Gräber bleiben dauerhaft bestehen. (mz)