Justiz pausiert nicht Justiz pausiert nicht: Haben Richter in der Corona-Krise weniger Zeit für ihre Fälle?

Merseburg - Die Flure das Amtsgerichts Merseburg sind leer, viel leerer als üblich. Im Dornröschenschlaf ist das Haus allerdings nicht. „Wir haben zwar den Publikumsverkehr stark eingeschränkt, aber die Justiz funktioniert“, sagt Michael Kawa, der derzeit amtierende Direktor des Hauses.
Es obliege jedem Richter, selbst zu entscheiden, ob ein Prozess auch unter diesen erschwerten Bedingungen stattfinden soll oder nicht. „Denn das gehört zum Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit.“
Nicht dringende Fälle werden verschoben
Ordnungswidrigkeitssachsen würden zurzeit nicht verhandelt. In nicht dringenden Fällen wolle man aktuell weder Zeugen noch Anwälten zumuten, sich beispielsweise für eine Verhandlung in Merseburg mit dem öffentlichen Personen- und Nahverkehr auf den Weg zu machen und sich der Gefahr der Ansteckung aussetzen zu müssen.
„Denn es kann schon mal passieren, dass Anwälte aus anderen Bundesländern anreisen müssen. Zum Beispiel wenn der Mandant aus NRW auf der A 38 in einem Bereich geblitzt wurde, für den wir zuständig sind“, erklärt Kawa. Zu nicht eiligen Fällen gehört offenbar auch die Klage eines Merseburgers gegen die Stadt Merseburg wegen der aus seiner Sicht unrechtmäßigen Anhebung der Garagenpacht um 100 Prozent. Diese Verhandlung wird beispielsweise erst im Juli fortgesetzt.
Untersuchungshaft: Anklage muss spätestens nach sechs Monaten erhoben werden
Familiensachen, eilige Strafsachen oder auch Haftsachen müsse man logischerweise verhandeln. „Wenn es beispielsweise um das Umgangsrecht bei Kindern geht und es drängt, verhandeln wir. Wenn jemandem der Führerschein abgenommen wurde und er ihn dringend wiederhaben möchte, weil er zum Beispiel Lkw-Fahrer ist und ihn für den Job braucht, dann verhandeln wir auch.“
Sei jemand festgenommen worden und müsse einem Haftrichter vorgeführt werden, der entscheidet, ob der Betreffende in Haft bleiben muss, dulde das natürlich auch keinen Aufschub. „Und wenn Leute nach einer Straftat in Untersuchungshaft sitzen, muss spätestens nach sechs Monaten Anklage erhoben werden, sonst müssten die Leute auf freien Fuß gesetzt werden.“ Auch dies seien Fälle, in den verhandelt werde.
Es gebe aber Fälle, in denen sofort gehandelt werden müsse
Um die Situation etwas zu entspannen habe es allerdings eine Entspannung bei den Fristen gegeben. „Normalerweise liegt die Unterbrechungsfrist zwischen zwei Verhandlungstagen bei 21 Tagen. Das wurde in der aktuellen Situation auf zwei Monate und zehn Tage angehoben.“
Es gebe aber Fälle, in denen sofort gehandelt werden müsse. „Wenn zum Beispiel jemand in die Psychiatrie eingewiesen wurde“, sagt Kawa. Bei so einer freiheitsentziehenden Maßnahme müsse binnen 24 Stunden entschieden werden.
Haben Richter weniger Zeit ihre Fälle zu bearbeiten?
So etwas komme vor, wenn Rettungsdienst und Polizei zu einem Notfall gerufen werden und sich herausstellt, dass entweder jemand versucht hat, sich selbst umzubringen oder ein randalierender Ehemann seine Frau verletzt hat. „Wenn also jemand eine Gefahr für sich oder andere darstellt, kann das Ordnungsamt des Saalekreises denjenigen unterbringen. Aber wir müssen den Betroffenen binnen 24 Stunden anhören.“
Haben die Richter in der aktuellen Situation mit weniger Verhandlungen Zeit, andere Fälle abzuarbeiten? „Eigentlich nicht, denn es muss ja alles verhandelt werden“, sagt der Amtsrichter. „Wir schieben praktisch ein Welle vor uns her.“
Corona-Bestimmungen auch bei Gerichtsverhandlungen präsent
Bei den Verhandlungen, die tatsächlich stattfinden, müssen auch am Amtsgericht in der Geusaer Straße die geltenden Abstandsregelungen eingehalten werden. „Deshalb habe ich veranlasst, dass alle Verhandlungen im Saal 1 stattfinden. Das ist unser größter Saal“., erklärt Kawa. Dort könnten die Abstände eingehalten werden. „Ohne, dass ein Angeklagter flüchten könnte.“
››Wer sich in unaufschiebbaren Angelegenheiten an das Amtsgericht wenden muss, kann dies unter Tel. 03461/28 10 tun. Hier findet man die Telefonnummern der einzelnen Abteilungen: https://ag-mer.sachsen-anhalt.de/amtsgericht (mz)