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Jubiläum in Leuna Jubiläum in Leuna: Das Archiv als Gedächtnis der Stadt

Von Melain van Alst 08.10.2015, 07:55
So hat sich Architekt Karl Barth ein Damenzimmer in einer Akademikerwohnung vorgestellt.
So hat sich Architekt Karl Barth ein Damenzimmer in einer Akademikerwohnung vorgestellt. Peter Wölk Lizenz

Leuna - Haberstraße in Leuna. Nur einen flüchtigen Blick wirft Ralf Schade auf die Karte aus dem Jahr 1921 an der Wand. „1933 wurde sie in Wagnerstraße umbenannt, 1946 wieder in Haberstraße rückbenannt“, sagt Schade zum Anrufer. Ohne etwas nachschlagen zu müssen, konnte er ihm helfen. „Ich habe ein optisches Gedächtnis“, sagt er. „Und alles, was im Archiv landet, überfliege ich natürlich“, fügt er noch hinzu.

Schade ist der Herr über das Langzeitgedächtnis der Stadt Leuna. Alles, was für die Nachwelt aufgehoben werden soll, landet bei ihm im Stadtarchiv. Seit nunmehr 25 Jahren werden dort Dokumente, Fotos und mittlerweile Datenträger gesichert. Auch Bücher und einige andere Gegenstände haben über die Jahre ihren Platz in dem Archiv bekommen. „Natürlich sind wir kein Museum“, sagt Schade. Dennoch hat er dort eine beachtliche Sammlung.

Schnell ist sein Lieblingsstück ausgemacht: Eine goldene Taschenuhr aus dem Jahr 1939. „Nach 25 Jahren bei der IG Farben hat man die bekommen. Ich wusste gar nicht, dass es sowas gab. Sie würde sogar noch funktionieren, aber wir ziehen sie nicht mehr auf“, so Schade. Gehört hat die Uhr einst Werkmeister Wilhelm Schmitt. Auch das polizeiliche Melderegister, ein riesiges vergilbtes Buch, gehört zu Schades Favoriten. Das älteste Stück ist jedoch ein Protokollbuch aus Rössen. „1715 wurde begonnen es zu führen. Das witzige ist, man hat alle Vorder- und dann erst alle Rückseiten beschrieben.“

Zum größten Teil werden wichtige Dokumente wie Protokolle, Beschlüsse oder Ähnliches gesichtet, registriert und später archiviert. Aus dem Kurzzeit- wird also das Langzeitgedächtnis. Eigens dafür gibt es ein Zwischenarchiv, in dem Dokumente der vergangenen zehn Jahre lagern. Erst danach wird endgültig entschieden, was bei Schade bleiben darf und sicher in Kartons vor Licht geschützt verstaut wird. „Das sind nur vier bis acht Prozent.“ Bis zu einem Kilometer Akten können im Archiv verstaut werden, 400 Meter sind derzeit noch frei. Das, was jedoch nicht bleiben kann, wird weggeschmissen - acht bis zehn Kubikmeter Altpapier kommen so jedes Jahr im Archiv zusammen und müssen abgeholt werden.

Doch nicht nur amtliche Dokumente hebt Schade auf. „Wir haben dank Professor Klaus Krug eine große Lehrmittelsammlung der chemischen Industrie“, so der Leiter. Damit belegt das Archiv im bundesweiten Vergleich den dritten Platz hinter München und Berlin. Eine ebenso große Sammlung an Zeichnungen lagert in flachen Kästen in einem Nachbarraum, garniert mit einem originalen DDR-Rechner von 1989, der sogar noch versiegelt ist, quasi neuwertig. Insgesamt 11 000 Zeichnungen sind vom Architekten Karl Barth in den Besitz der Stadt übergangen.

So kann man heute nachvollziehen, wie sich Barth ein Damenzimmer rot lackiert mit vergoldeten Knöpfen vorgestellt hat. Ein solches Zimmer gehörte damals zu einer Akademikerwohnung, weiß Ralf Schade. Noch heute kann man in der Siedlung die Leistungen des Architekten an vielen Gebäuden sehen.

Neben der reinen Archivierung bearbeitet Schade aber auch regelmäßig Anfragen beispielsweise von Museen, die Ausstellungen konzipieren und für ihre Broschüren Informationen benötigen. Die meisten Anfragen stammen jedoch von Bauträgern, die historische Dokumente für Bausanierungen benötigen. Sogar das Landeskriminalamt habe schon seine Hilfe gebraucht. Wanderer hatten ein altes geborstenes Chemiefass gefunden, so Schade. Mit der Bezeichnung konnte jedoch niemand etwas anfangen. Der Archivar konnte helfen, das Fass war aus dem Chemiekombinat Bitterfeld und die Substanz gut feststellbar. (mz)

Einst hat diese Uhr Wilhelm Schmitt gehört.
Einst hat diese Uhr Wilhelm Schmitt gehört.
Peter Wölk Lizenz
Ralf Schade hält das älteste Stück - ein Protokollbuch aus Rössen aus dem Jahr 1715 - in den Händen.
Ralf Schade hält das älteste Stück - ein Protokollbuch aus Rössen aus dem Jahr 1715 - in den Händen.
Peter Wölk Lizenz