Heimatgeschichten Heimatgeschichten: Entdeckungsreise in dem alten Dorf im Wald
Ziegelroda/MZ. - "Das Haus mit den gelben Fenstern", sagt der alte Mann, ehe er langsam weiterläuft. Links die Straße hinauf, zeigt er, da wohnen Schillings.
Ziegelroda ist ein überschaubarer Ort, in dem Fremde auffallen und sich die Leute immer noch gut kennen. Wissen, was einer tut, wie und wovon er lebt und welchen Umgang er pflegt. Bei den Schillings zum Beispiel ist Besuch eingetroffen. Aus der Ferne, aber doch nicht fremd. Christa Fischer (49) wuchs auf in dem Haus, in dem jetzt ihre Schwester mit Familie lebt und den betagten Vater pflegt. Und wer aus dem Dorf stammt, findet nun mal leichter Zugang zu den Höfen und Häusern und den Menschen darin.
Sonst wäre es vielleicht gar nichts geworden mit dem Projekt, mit dem sich die blonde Wahl-Württembergerin und ihr Schwager Karl-Horst Schilling aus Ziegelroda immer mehr identifizieren: Sie schreiben die Chronik des Dorfes - aber nicht nur als chronologische Abfolge, sondern ergänzt mit zahlreichen Lebensgeschichten, Erinnerungen, Erfahrungsberichten. Erzählt von den Alten, die sich noch erinnern an ihre Kindheit und Jugend, an Krieg und Aufbruch, an Wachsen und Werden des Ortes.
Der Anstoß kam von Christa Fischer, Autorin mehrerer Bücher. Sie wußte, dass sich ihr Schwager seit Jahren schon intensiv mit Heimatgeschichte beschäftigt. Nicht umsonst ist er Vorsitzender des Heimatklubs und besitzt einen ganzen Packen Material zur Dorfgeschichte. Hat zum Beispiel, als nach 1990 Betriebe und Einrichtungen geschlossen wurden, zahlreiche Unterlagen vor der Müllhalde gerettet. Und sie sprach dann eines Tages diesen magischen Satz: "Wollen wir das nicht gemeinsam aufarbeiten?"
Über die Aufgabenteilung einigen sich beide schnell: Karl-Horst übernimmt vor allem das Sammeln und Sichten des Materials, Christa besucht Zeitzeugen aus dem Dorf und befragt sie nach ihren Erinnerungen. "Da hab ich erst mal gemerkt, wie viele sich für die Heimatgeschichte interessieren", stellt der 55-Jährige bald fest. Auch im Pfarrhaus und bei der Gemeinde wird er fündig. So stößt er auch auf die erste Erwähnung des Ortes in einem Schutzbrief des Kaisers Barbarossa von 1174. Anfang des 16. Jahrhunderts entstand eine Ziegelei, daraus resultiert vermutlich der heutige Name des Ortes. Zwar gab es bescheidenen Wohlstand, doch über all die Jahrhunderte blieb Ziegelroda ein kleines Dorf am Walde.
Das prägt auch die Lebensgeschichten, die Christa Fischer aufgeschrieben hat - "ehe mal keiner mehr da ist, der sie erzählen kann." Mit Alteingessenen hat sie gesprochen, die schon seit Generationen im Dorf heimisch sind. Aber auch mit Menschen, die der Krieg hierher verschlug, die sich vor allem an Hunger und Entbehrungen in jenen Jahren erinnern. Gern sprechen die Alten von ihrer Kindheit und Jugend, hat sie gespürt. Von der Schule, den Spielen, der Feldarbeit. Stockender wird die Rede, wenn es auf die 60er Jahre zugeht. LPG-Gründung, Sozialismus - das wird lieber ausgeblendet.
Doch die glückliche Fügung des Schicksal wollte es, dass die gebürtige Ziegelrodaerin ausgerechnet in der Nähe ihres neuen Zuhauses in Baden Würtemberg den langjährigen Ziegelrodaer LPG-Vorsitzenden traf. Erich Riedel, schon fast eine Legende im Dorf. Und er hat gern und viel erzählt, wie das so war und lief damals mit der Landwirtschaft und der Unterstützung der Gemeinde in der DDR.
Die Chronik steht kurz vor dem Abschluss. Rund 160 Seiten sind es geworden, dazu 40 Seiten Anhang. Für den Druck haben sie auf Förderung und Sponsoren gehofft, aber das war schwierig. Deshalb wollen sie Druck und Vertrieb vorerst selbst in die Hand nehmen und setzen einfach auf das Interesse der Bevölkerung. Den eigenen Spuren nachgehen - das interessiert viele, haben sie im Laufe der Recherchen gespürt. Nun sind sie gespannt auf die Resonanz. "Wer andere Erfahrungen hat oder uns ergänzen will, kann das gern vorbringen", bekräftigen beide.