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Geschichte in Merseburg Geschichte in Merseburg: Erster Weltkrieg ruft schmerzliche Erinnerungen hervor

Von Michael Bertram 10.03.2014, 20:44
Ein historisches Dokument aus dem Ersten Weltkrieg: Das Foto aus dem Stadtarchiv zeigt das Merseburger Lazarett in der Weißen Mauer.
Ein historisches Dokument aus dem Ersten Weltkrieg: Das Foto aus dem Stadtarchiv zeigt das Merseburger Lazarett in der Weißen Mauer. Vincent Grätsch Lizenz

Merseburg/MZ - Es ist ein unscheinbarer Karton, der einen detaillierten Einblick in eines der grausamsten Kapitel der Menschengeschichte gibt. Jahrzehntelang hat ihn Therese aufbewahrt und Geschichten ihn ihm gesammelt. Es sind Erzählungen von der Front, die ihr geliebter Mann Henri Hym seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren in die französische Heimat geschickt hat. „Krieg 1914-1915-1916. Album seiner Briefe“ steht auf dem Deckel des Kartons, dessen Inhalt es heute ermöglicht, das Schicksal des französischen Soldaten, der zeitweise auch im Gefangenenlager in Merseburg festgehalten wurde, zu erzählen.

Wer etwas über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erfahren möchte, ist auf Dokumente wie diese angewiesen. Denn im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg gibt es kaum noch Zeitzeugen, die aus erster Hand über das damalige Geschehen berichten können. Anlässlich des Jahrestags in diesem Sommer erscheinen eine Reihe von Publikationen, die sich mit diesem Thema befassen. Archive und Bibliotheken bereiten sich auf einen Ansturm vor und legen ihren Fundus offen. Im Rahmen eines von der EU geförderten Projektes unter dem Titel „Europeana Collections 1914-1918“ werden die Bestände europäischer Nationalbibliotheken digitalisiert und in einer riesigen Datenbank im Internet abrufbar gemacht. Über eine Stichwortsuche sind Dokumente aus einzelnen Orten zu finden - wie etwa die Briefe des Henri Hym.

Nicht nur im Internet und in den Archiven lagern Fundstücke und Dokumente, die Aufschluss über die lokalen Ereignisse während des Ersten Weltkriegs geben. Womöglich lagern auch in Ihrem Haus in Kellern, Kommoden oder auf Dachböden Kartons mit alten Erinnerungen.

Für die Berichterstattung über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs sucht die Mitteldeutsche Zeitung Ihre Geschichte. Briefe, Fotos, Postkarten oder Gegenstände aus dieser Zeit, die Sie auf Flohmärkten erstehen oder einst geerbt haben, können viel über die damaligen Ereignisse erzählen. Vielleicht erinnern Sie sich aber auch an Geschichten, wie Ihre Familie den Ersten Weltkrieg damals erlebt hat. Teilen Sie diese mit uns und den anderen Lesern. Sollten Sie Fundstücke besitzen oder Geschichten erzählen können, melden Sie sich bitte. (ram)

Die Kontaktaufnahme ist per Telefon unter der Nummer 03461/25 91 80 möglich oder auch per E-Mail mit dem Stichwort „Erster Weltkrieg“ an [email protected]

Der Soldat ist 31 Jahre alt, als der Krieg ausbricht. Von den ersten Tagen der Mobilisierung des 26. Infanterie-Regiments, in dem er kämpft, schreibt er fast täglich Briefe an seine Frau Therese. Zunächst an verschiedenen Orten in Frankreich stationiert, wird Hym ab September 1914 in erste Kämpfe verwickelt. Nur wenige Tage später, am 30. September, wird der Franzose gefangen genommen. Es beginnt eine Odyssee, die ihn im Oktober 1915 nach Merseburg führt. Gut drei Jahre befindet sich Hym hier in Gefangenschaft.

Doch nicht nur im Internet, auch im Stadtarchiv lässt sich erfahren, wie sich der Weltkrieg auf die Domstadt auswirkte. Noch heute bedrohlich wirken etwa die Schlagzeilen des „Merseburger Tageblatts“, die vom heraufziehenden Krieg künden, bis mit den Worten „Das gewaltigste Völkerringen“ über dessen Ausbruch berichtet wird. „Was Beine hatte, strömte der Kaserne zu, um den ins Feld Ziehenden noch ein paar Liebesworte zuzurufen“, heißt es in einem Bericht über das 153. Bataillon aus Merseburg. „Als unser Bataillon am Bahnhof angelangt und auf den Bahnsteig marschiert war, wurden die Zäune und Hügel der Strecke von der Menge besetzt, um bei der Abfahrt einen Blick zu erhaschen. Unbekümmert um die schönen weißen Schuhe und Kleidchen ging es durch Sand und über Wiesen“, schreibt der Autor.

In Annoncen aus dieser Zeit bitten Vereine oder auch das Rote Kreuz um Spenden. Nachzulesen ist in einem Band von Feldpostkarten, wie deutsche Soldaten und Gefangene den Krieg erlebten und was sie ihren Familien in Merseburg und Umgebung berichteten.

Vielen unbekannt dürfte die Tatsache sein, dass sich im Straßenzug Weiße Mauer zum Zeitpunkt des Ersten Weltkriegs ein großes Lazarett befunden hat. Eine alte Fotografie verschafft einen Eindruck. Kranke, Verletzte und das Pflegepersonal scheinen sich auf der Aufnahme nur für das Foto vor den Baracken versammelt zu haben.

Der Franzose Hym überlebte Krieg und Strafarbeit und kehrte nach dem Ende der Kämpfe zu seiner Frau zurück. Im Jahr 1919 gebar Therese zwei Kinder - Louis und Marguerite. Lange Zeit konnte der Soldat als Zeitzeuge vom Krieg als erstes großes Gemetzel der Moderne selbst berichten, bis er 1987 im stolzen Alter von 103 Jahren starb. Heute sind die Briefe die letzte verbliebene Erinnerung an sein Schicksal.

Im Merseburger Archiv lagern allerhand Fundstücke aus dem Ersten Weltkrieg. Zeitungen, Feldpostkarten der Soldaten und Militärausweise erzählen, wie ihn Merseburg erlebte.
Im Merseburger Archiv lagern allerhand Fundstücke aus dem Ersten Weltkrieg. Zeitungen, Feldpostkarten der Soldaten und Militärausweise erzählen, wie ihn Merseburg erlebte.
Vincent Grätsch Lizenz