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Geburtstag Geburtstag: Neugierig auf noch so vieles

Von Petra Wozny 01.02.2002, 15:45

Braunsbedra/MZ. - "Um Gottes Willen! Was, in die Zeitung? Und dann noch mit Foto? Nein, ich nicht." Lieselotte Böhme ist überhaupt nicht begeistert und macht daraus keinen Hehl. Doch die Frau am anderen Ende der Telefonleitung lässt sich nicht abwimmeln. Nach einigem Hin und Her sind sich beide einig: Es soll nur ein Gespräch unter Frauen werden.

Beide im Sternzeichen Wassermann geboren, beide mit einem Hang zur Literatur, beide auf der Suche nach Geschichten - das merken sie schnell, das verbindet. Und so sprechen sie über Gott und die Welt und immer wieder über Lieselotte Böhme. Wie war das, wann war das und warum? Und die Frau mit dem wachen Blick, dem wunderschönen glatten weißen Haar und dem Türkis am Finger - sie hat Geduld mit dir. Will alles erklären - sie war mal Lehrerin - und weiß doch, ihre Gesprächspartnerin hat für eine so lange Geschichte gar keine Zeit.

Also, nur ein kurzes Geschichtchen. Geboren in Halle, gearbeitet in vielen Kindereinrichtungen, viel herumgekommen, bekommt sie nach den Kriegswirren Heimweh - und strandet in Braunsbedra, arbeitet in unterschiedlichen Schulen. Hier kennt sie Hinz und Kunz. Hat keine Familie, aber viele, aufrichtige Freunde. Seit fast einem Vierteljahrhundert ist Lieselotte Böhme pensioniert. Ja, wie war das bloß, dass sie fast ihre Seele an das damalige Dorf, die heutige Stadt Braunsbedra vergab? "Ich war eben einfach da. Hab mich interessiert für Geschichte." Bürgermeister Frank Gebhardt hatte eine Nase dafür und ein besonders glückliches Händchen mit der charmanten wie klugen Seniorin.

Denn die kümmert sich fortan um jedes Foto, jeden Zeitungsschnipsel, eben um alles, was mit der Geschichte des Geiseltales zu tun hatte. Sie sammelt kartonweise, ordnet, sortiert und beschriftet. "Das hat mich nicht losgelassen", sagt sie dir kurz und bündig und man ahnt ansatzweise, was sie sich für ein Packen Arbeit aufgebürdet hat. Sie macht eine kleine Einschränkung, immer gerade zu, wie sie eben so ist: "Nein, Geschichte im Großen, das ist nicht so mein Ding. Das Spannendste ist doch die kleine Historie, die Geschichtchen in der Geschichte. Die musst du den Leuten nahe bringen." Sie stubelt sich das Haar und fragt: "Wer interessiert sich schon für einen knochentrockenen Stadtratsbeschluss? Menschen wollen doch eigentlich immer wissen, wie andere Leute leben, was sie tun und denken. Das ist Geschichte."

Entstanden sind so drei Bücher. Die Roharbeit lagert auf ihrem Schreibtisch in ihrer Braunsbedraer Wohnung. Einen Computer findet man dort nicht. In exelenter sauberer Schrift schreibt sie mit Füller nieder, was sie zu sagen hat. Und das ist viel.

Ihren 80. Geburtstag hat Lieselotte Böhme, sie ist Ehrenbürgerin von Braunsbedra, gestern in der Stadt mit ihren besten Freunden gefeiert. Wünsche gingen in Erfüllung. Die Stadtverwaltung hatte dies organisiert. Zum Beispiel, dass sie durch den Tagebau fuhr, der sich demnächst mit Wasser füllen wird. Wann sich die rüstige Rentnerin zur Ruhe setzen wird? Da wird ihr freundliches Gesicht ganz ernst und ihre Gesprächspartnerin denkt, in einen Fettnapf getreten zu sein. Krank war sie Ende letzten Jahres. Sagt, ihr sei so gewesen, als sei sie in ein ein großes Loch gefallen. Doch der Wille habe gesiegt. Zu Weihnachten wollte sie wieder auf dem Stuhl sitzen. Und sie saß. Und dies wahrlich nicht auf dem Ruhekissen.

Was sie sich wünscht? Da schlägt sie beschämt die Hände vors Gesicht? "Geistig fit sein und gut zu Fuß. Ich bin noch auf so vieles neugierig." Beim Abschied wird der Fototermin bei der Mueg gestern Nachmittag ausgemacht und der Wunsch ist auf beiden Seiten da, irgendwann einmal viel Zeit zu haben und lange zu reden.