„Wir müssen selbst etwas tun“ Experte des Jugendamtes im Saalekreis zeigt mögliche Verteidigungen gegen Mobbing
Ob Fernsehfuzzi, Anti-Gewalt-Trainer oder Polizistin - beim Fachtag des Jugendamtes gab es von ihnen jede Menge wichtige Infos und Tipps.
Merseburg/MZ - „Und wenn Dich Dein Gegner an den Handgelenken festhalten will, dann Hände hoch zum Gebet und nach oben rausziehen.“ Das Wilmowski-Zimmer im Obergeschoss des Ständehauses wird an diesem Tag zur Anti-Gewalt-Arena. Trainer Thomas Pötzsch erklärt Jugendlichen, Lehrern und Schulsozialarbeitern, wie man sich im Notfall verteidigen kann.
Anti-Gewalt-Workshop ist ein Teil des Fachtags „Mobbing und Gewalt - Konflikte gemeinsam angehen“
Wie man sich wehren darf und was nicht gestattet ist. Wenn man sich bedroht fühlt, kann im Zweifel sogar ein dem Gegner entgegengeworfener Rucksack oder eine geöffnete Wasserflasche, mit der man ihn vollspritzt, dafür sorgen, dass der Gegenüber kurz irritiert ist. „Genug Zeit um abzuhauen“, sagt Pötzsch.
Der Anti-Gewalt-Workshop ist ein Teil des Fachtags „Mobbing und Gewalt - Konflikte gemeinsam angehen“, den das Jugendamt des Saalekreises mit Unterstützung unterschiedlichster Partner am Mittwoch im Ständehaus veranstaltet. Dabei geht es um Formen von Cybermobbing oder auch darum, wie man dummen Sprüchen gekonnt aus dem Weg gehen kann.
Soziale Medien sind Nährboden für Mobbing
„Wir haben von Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und auch von den Schulsozialarbeitern Anfragen zum Thema Mobbing bekommen“, sagt Sabine Skirl vom Jugendamt, die den Fachtag mitorganisiert hat. Daher wisse man in der Arbeitsgruppe Antimobbing, die seit 2018 existiert, seit längerem, dass es Informationsbedarf gibt. „Die Technik hat sich in den vergangenen Jahren rasant verändert und soziale Medien werden immer wichtiger.“
Diese böten allerdings auch den Boden für Mobbing. „Deshalb wollten wir diesen Fachtag unbedingt durchführen. Denn jeder von uns braucht Fortbildung.“ Deshalb habe man unzählige Schulen im Saalekreis angeschrieben. „Und viele haben Jugendlichen oder auch Schulsozialarbeitern ermöglicht, dabei zu sein.“ Am Ende wurden gut 170 Teilnehmer gezählt.
Belästigung, üble Nachrede, Nachstellen oder Stalking
Im Workshop von Anja Salomon vom Bereich Opferschutz der Polizeiinspektion Halle konnten die Jugendlichen alle möglichen Fragen stellen, mussten aber auch hören, dass beispielsweise Cybermobbing selbst keinen Straftatbestand darstellt. „Allerdings kann man sich hier der Beleidigung schuldig machen, oder der Verletzung des Rechts am eigenen Bild, wenn man einfach Fotos von anderen verbreitet“, erklärt die Polizistin.
Das massive Versenden unerwünschter Nachrichten an das Opfer oder vermeintlich im Namen des Opfer falle unter Belästigung, könne aber auch als Nachstellen oder Stalking gewertet werden. Wer unwahre Behauptungen verbreite, könne sich der üblen Nachrede oder der Verleumdung schuldig machen und könnte angezeigt werden. „Allerdings sind Kinder unter 14 nicht strafmündig. Sie können also nicht bestraft werden, auch wenn eine Straftat vorliegt.“
Rat von Sänger Peter Maffay zum Thema Mobbing
Es gab also jede Menge Infos für die Teilnehmer und außerdem auch einen Stargast: Tom Lehel. Der Mann aus Köln hat nicht nur die Haare schön, sondern zum Thema auch einiges beizutragen. „Ich wurde von der Grundschule bis zum Abitur gemobbt. Und auch einer meiner Söhne wurde Opfer von Mobbing“, erzählt der Fernsehfuzzi (wie er sich selbst nennt), den viele aus Kindersendungen im ZDF oder Kika kennen. Sein Sohn habe zwar die Schule wechseln müssen, aber seitdem gehe es ihm besser. „Er hat mich eigentlich auf die Idee gebracht, dass man etwas gegen Mobbing tun müsse.“
Da er elf Jahre lang Tabaluga-TV gemacht habe, habe er Sänger Peter Maffay angerufen und um Rat gefragt. Denn der kenne sich schließlich aus. „Und der gab mir den Rat eine Stiftung zu gründen.“ Und so sei 2018 seine Stiftung gegen Mobbing und Cybermobbing „Mobbing stoppen! Kinder stärken!“ entstanden. Mittlerweile gibt es das Buch „Wir wollen Mobbing frei“ und ein Video zum Buch „Du doof?!“, das er gemeinsam mit den Lochis, Chris Tall, Sebastian Krumbiegel von den Prinzen und vielen anderen Prominenten aufgenommen hat.
„Deshalb müssen wir selbst etwas tun“
In Vor-Corona-Zeiten hat er an Schulen richtige Events durchgeführt, bei denen nicht nur die Anti-Mobbing-Partys für die Kids, sondern auch die Elternabende voll waren. Damit alle ein wenig nachfühlen können, wie so ein Event mit Tom Lehel ist, greift er zum Mikro und singt mit dem Saal gemeinsam „Du doof?!“ Es sei aktuell eine schwierige Zeit. „In Köln sind seit Corona die Kinderpsychiatrien voll. Und die müssen Kinder wegschicken, weil es welche gibt, denen es noch schlechter geht “, erzählt der 51-jährige Vater von vier Kindern im gut gefüllten Hübener-Saal
„Ich will nicht wissen, wie es in drei oder vier Jahren aussieht. Und ich glaube nicht, dass sich die Politik dafür interessiert. Deshalb müssen wir selbst etwas tun.“ Bei den jungen Teilnehmern stieß der Fachtag auf positive Resonanz. „Das war alles echt interessant“, meint ein 15-jähriger Schüler, der selbst noch nie Erfahrung mit Mobbing gemacht hat. „Bei uns in der Klasse sind alle okay.“ Ein anderer Schüler gab zu, dass er doch schon hin und wieder mal mit Gewalt zu tun hatte. „Aber die Tipps vom Trainer waren gut.“
Fachtag in Präsenz ist wichtig für das Vernetzen
„Wenn wir mit so einem Fachtag erreichen, dass Leute hinschauen und helfen, statt wegzuschauen, dann haben wir schon viel gewonnen“, sagt Antje Springer, die Leiterin des Jugendamtes des Saalekreises. „Denn wir müssen aktuell das wieder aufbauen, was uns in den vergangenen Monaten verloren gegangen ist - das Miteinander“.
Daher sei es auch wichtig gewesen, den Fachtag nicht digital, sondern in Präsenz stattfinden zu lassen - auch damit sich die Leute vernetzen können. „Und dafür haben sich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Organisation richtig reingehängt.“ Künftig solle es jährlich einen Fachtag zu einem bestimmten Thema geben, zum Beispiel zum Thema Kinderschutz und Kinderrechte.