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Erster Weltkrieg Erster Weltkrieg: "In roter Glut"

Von Doreen Hoyer 03.04.2014, 14:35
Bild aus dem Fundus von Hartmut Augustin zeigt seinen Großvater Alfred Hugo Augustin. Alfred war als Landwehrmann im ersten Weltkrieg.
Bild aus dem Fundus von Hartmut Augustin zeigt seinen Großvater Alfred Hugo Augustin. Alfred war als Landwehrmann im ersten Weltkrieg. Hartmut Augustin Lizenz

Schnellroda/MZ - In diesem Jahr jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal - Anlass, um auf diese Zeit zurückzublicken. Die Auswirkungen des Krieges beschäftigen heute noch viele Familien: Hartmut Augustin aus Schnellroda fand die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe seines Großvaters Alfred Hugo Augustin. Dieser kämpfte im Ersten Weltkrieg als Landwehrmann, bevor er im September 1914 vermisst gemeldet wurde. Sein Enkel stellte der MZ die Aufzeichnungen zur Verfügung:

■5. August 1914

Am 1. August war allgemeine Mobilmachung, am 2. erhielt ich den Mobilmachungsbefehl zum Grenadierreserveregiment Nummer 100, geführt von Oberstleutnant von Scheel. Heute trat in Dresden in der Fürstenstraße das Regiment in der Gastwirtschaft zum Lämmchen zusammen.

10. August 1914

Die Mobilmachung ist beendet. Das Regiment stellte sich am 8. August nachmittags um 3 Uhr in der Fürstenstraße auf. Heute war eine Gefechtsübung.

■19. August 1914

Der Abtransport erfolgte am 11. August vom Neustädter Bahnhof aus ins Aufmarschgebiet über Leipzig - Bebra - Kassel - Marburg dem Rhein zu. Der Rhein wurde bei Koblenz überschritten, dann ging es durchs Moseltal. Am 13. August wurde das Regiment in Salmrohr bei Trier ausgeladen und heute wurde die luxemburgische Grenze überschritten.

Die Märsche waren sehr anstrengend, bei schlechten Straßen im bergigen Gelände bei sengender Augustsonne. An der belgischen Grenze wurde ein dreifaches Hurra ausgerufen und die „Wacht am Rhein“ wurde gesungen.

■20. August 1914

Das erste Quartier im Feindesland war Steinborn. Heute ging es durch die Ardennen bis Marchais. Wir waren bis zur Unkenntlichkeit verstaubt und in Schweiß gebadet. Der Kragen wurde geöffnet und die Halsbinden abgebunden. Die roten Regimentsnummern waren von den Helmbezügen, der Spionagegefahr wegen, entfernt worden. Die Grenadiere sangen. Man hörte, dass Brüssel genommen sei. Wir sahen erste deutsche Verwundete.

■23. August 1914

Heute erhielt unser Regiment den Befehl zum Vorgehen über die Maas. Es war ein Sonntag. In roter Glut stieg die Sonne hinter dem Kirchturm von Sovet empor. Wir suchten das Ufer der Maas zu erreichen, wo der Feind war. Der Übergang wurde erzwungen und eine Anzahl französischer Gefangener gemacht, meist ältere Leute, die in ihrer Friedensuniform (rote Hosen, blauer Rock, weißes Lederzeug und rotes Käppi) wenig militärisch aussahen.

Über Wiesen und Feldflächen arbeiteten wir uns bis Warnaut vor. Dreihundert Gefangene und zwölf Offiziere wurden genommen. Weiter ging es bis nach Florennes. Todmüde schliefen wir unter freiem Himmel. Der Regimentskommandeur von Scheel fand anerkennende Worte. „Nun danket alle Gott“ und das Deutschlandlied wurden gesungen.

26. August 1914

Wir haben die französische Grenze bei Rocroi überschritten. Orte wie Rumigny und Wasigny wurden passiert.

■4. September 1914

Das Regiment rückte heute in die vom Feind geräumte Stadt Reims. Heiß und kräftezehrend waren die Märsche gewesen. Die Schwierigkeiten des Nachschubs von Munition und Verpflegung infolge des befehlsmäßigen Vormarsches nach dem Übergang über die Maas machten sich schon bemerkbar. Infolge des Hafermangels hat bei den Pferden ein bedenklicher Kräfteverfall eingesetzt. Etwa 390 Kilometer waren in wenigen Tagen zurückgelegt. Das war schon eine Leistung.

9. September 2014

Nach der Umgruppierung der französischen Streitkräfte durch den Oberbefehlshaber Joffre wurde von ihm am Morgen des 6. September erneut die Offensive befohlen. Unser Reserveregiment Nummer 100 trat darum den Weitermarsch nach Süden an und erreichte die Orte Germaine Avenay und Villeneuve.

Es war ein harter Häuserkampf. Ununterbrochen hallte der Kanonendonner der Marneschlacht. Vassimont war stark besetzt. Wir wurden mit starkem Infanteriefeuer empfangen, aber der Ort wurde genommen. An einem Brennpunkt der Marneschlacht hat unser Regiment mitgefochten.

■13. September 1914

Am 9. September kam der völlig überraschende Rückzugbefehl der obersten deutschen Heeresleitung hinter die Marne. Bei Corde überquerten wir wiederum die Marne und erreichten heute Prosnes. Hier mussten wir zuerst Schützengräben ausheben.

An dieser Stelle enden die Aufzeichnungen. Im Oktober 1914 kam die Vermisstenmeldung von der Front. Auf Anfragen von Martha Augustin, der Frau des Vermissten, beim Regiment Nummer 100 antwortete der Leutnant Fähndrich mit einem Brief vom 4. Juni 1915: „Ich habe selbst bei dem Gefecht am 26. September 1914 in vorderster Linie gelegen und kann daher die Verhältnisse so genau beurteilen, als es eben ein Gefecht zulässt. Wir waren in einer sehr weit vorn gelegenen Stellung, mussten aber auf hohen Befehl etwa 600 bis 800 Meter zurückgehen, weil wir zu sehr dem feindlichen Feuer ausgesetzt waren. Dabei war es natürlich unmöglich, die Schwerverletzten und Gefallenen mitzunehmen, wenn wir nicht noch mehr Verluste haben wollten. Die Verwundeten sind also in französische Gefangenschaft geraten. Die Gefallenen sind, wie wir mit Gewissheit annehmen dürfen, von französischen Soldaten beerdigt worden. Der Platz liegt nördlich von Prosnes. Etwas genaueres lässt sich auch heute nicht sagen, denn wir liegen noch in der selben Stellung, aber die betreffende Stellung liegt noch in feindlicher Hand.“

Später erreichte die Familie dieses Schreiben vom 28. September 1915: „Es sind uns vom hiesigen Standesamt Unterlagen zur Kenntnis gekommen, aus denen hervorgeht, dass der Landwehrmann Alfred Hugo Augustin für das Vaterland gefallen ist.“

Nach Hartmut Augustins Erinnerungen konnte sich seine Großmutter Martha, die 1952 in Schnellroda verstarb, zeitlebens nicht mit dem Tod ihres geliebten Mannes abfinden. „Als junge Kriegerwitwe mit einem zweijährigen Sohn hatte sie mit der deutschen Bürokratie zu kämpfen, um Versorgungsansprüche durchzusetzen. Immer wieder klammerte sie sich an den Gedanken, dass ihr Mann doch noch aus französischer Gefangenschaft heimkehren würde - vergeblich“, erinnert sich der Enkel. „Zeitlebens war sie eine gebrochene Frau.“

Die offizielle Benachrichtigung vom Tode des Landwehrmannes Alfred Hugo Augustin. Sie erreichte die Familie erst ein Jahr nachdem er vermisst wurde.
Die offizielle Benachrichtigung vom Tode des Landwehrmannes Alfred Hugo Augustin. Sie erreichte die Familie erst ein Jahr nachdem er vermisst wurde.
Hartmut Augustin Lizenz
Ein Foto von Martha Augustin, Frau von Alfred Hugo Augustin, der seit Oktober 1914 vermisst wurde.
Ein Foto von Martha Augustin, Frau von Alfred Hugo Augustin, der seit Oktober 1914 vermisst wurde.
Hartmut Augustin Lizenz