Erster Weltkrieg Erster Weltkrieg: Gefährlicher Glücksbringer im Elternhaus

Leuna/MZ - „Der riesige Splitter war wohl so etwas wie ein Talisman für ihn“, erinnert sich Martin Krüger aus Leuna an den etwas anderen Einrichtungsgegenstand in seinem damaligen Elternhaus. In einem gewöhnlichen Wohnzimmerschrank hatte sein Vater das Erinnerungsstück aus einer Schlacht im Ersten Weltkrieg aufbewahrt. „Wir Kinder durften da aber nie ran“, erzählt Krüger.
Sein Vater ist gerade erst volljährig geworden, als er 1916 zwei Jahre nach Ausbruch des ersten großen Gemetzels der Moderne eingezogen wird. In Marienburg ausgebildet, geht es für den jungen Soldaten schon bald an die Front in der Champagne in Frankreich.
„Viel über den Krieg erzählt hat mein Vater nie“, sagt Krüger. Und dennoch erinnert er sich noch gut an einige Details, die sein Vater, der erst in der Artillerie und später als vorgeschobener Beobachter eingesetzt war, dann doch über die Jahre preisgab.
Granatsplitter wird zum Andenken
„Er war gewiss kein Kriegsheld, erzählte auch schlimme Geschichten“, sagt Krüger. Etwa, dass er in einem Schützengraben in der Champagne bis zum Bauch im Wasser ausharren musste, tagelang nicht schlafen konnte. Eines Nachts fallen ihm vor Erschöpfung dann doch die Augen zu, trotz fortwährenden Trommelfeuers schläft der junge Soldat ein. Als er am Morgen danach aufwacht, habe er neben sich jenen Splitter eines Geschosses entdeckt, der ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt hat. Als Andenken schnappt sich Krügers Vater das Teil und nimmt es nach dem Krieg mit in die Heimat.
Bei der Artillerie habe er wahrscheinlich auch Giftgas abschießen müssen, glaubt sein Sohn. „Er wusste nicht, was es war“, sagt er. „Aber er erzählte immer von in Stroh eingewickelten Granaten, die gluckerten, wenn man sie bewegte.“ Auch andere Grausamkeiten des Krieges kamen durch die Erzählungen ans Tageslicht. „Die Franzosen haben wohl Marokkaner eingesetzt, die sich nachts heimlich anschlichen und den Gegnern die Kehlen durchschneiden sollten“, erinnert sich Krüger an Geschichten. „Die Soldaten erhielten den Befehl, die Marokkaner gar nicht erst gefangen zu nehmen, sondern zu töten.“
Martin Krüger blättert in einem Album mit historischen Aufnahmen. Darauf zu sehen sind junge Burschen in Uniformen, die vor gewaltigen Geschützen für die Kamera posieren. Auch ein Porträt seines Vaters in Uniform ist zu sehen. Neben Krüger liegen weitere interessante Stücke aus der damaligen Zeit: Feldpost, die sein Vater an dessen Eltern schrieb. Die Karten geben Einblick in das Leben an der Front. „Was er brauchte, war stets Geld und etwas zu essen“, sagt Krüger mit einem Lachen.
„Wenn Ihr diese Karte erhaltet, schickt gleich ein Paket ab mit Brot, Gabel und Briefbögen“, schreibt er auf einer Postkarte vom 10. Dezember 1916. Mehrfach wird sein Vater leicht verwundet oder wegen Infektionen im Lazarett behandelt. Dennoch bereitet ihm das Leben an der Front keine größeren Probleme, wie er in einer anderen Karte schreibt: „Man gewöhnt sich sehr gut an das Soldatenleben, wenn man seine Pflicht tut, kommt man auch gut durch“, heißt es in den Zeilen, die er absetzen kann.
Zur "Übung" nach Polen
Nach dem Krieg macht sein Vater eine Ausbildung, beginnt zu arbeiten und lernt Martin Krügers Mutter kennen. Das Glück soll jedoch nicht lange halten. Erst folgt die Wirtschaftskrise, 1939 wird Krügers Vater erneut eingezogen. „Wie es damals hieß, für eine Übung“, sagt Krüger - es war der Polenfeldzug. „Die beiden Kriege haben meinen Vater kaputt gemacht“, schildert es der Leunaer.
Nach dem Tod seiner Frau findet Krügers Vater noch eine neue Liebe. „Er erlebte dadurch auch eine zweite Jugend“, meint der Leunaer. Mit 78 Jahren schließlich stirbt der Soldat, dessen Leben gleich von zwei grausamen Schlachten geprägt worden war.


