Kaum noch Gäste Dorfkneipe in Trebnitz: Warum der Wirt trotz Gästeschwund weitermacht

Merseburg - Wenn er streng wirtschaftlich handeln würde, dürfte Hans-Peter Jursch gar nicht hier stehen. Nicht an einem Dienstagabend in der Gaststätte Trebnitz auf Gäste warten. Doch der 61-Jährige ist seit 40 Jahren Gastwirt und seine Kneipe ein Familienunternehmen mit mehr als 125-jähriger Geschichte. Und so wartet Jursch geduldig auf Kundschaft.
Von der fehlt kurz nach Öffnung um 18.30 Uhr allerdings noch jede Spur. Die Holztische und -stühle im Gastraum sind leer, liegen im Halbdunkeln. In der Ecke läuft ein Nachrichtensender. Nur der helle Holztresen ist erleuchtet. Hinter ihm steht Jursch, graues Hemd, dunkler Schnauzer. Seit einem Jahr hat er nur noch an drei Tagen die Woche geöffnet. Dienstag- und Donnerstagabend, sonntags auch zum Frühschoppen.
Trebnitz hat nur 135 Einwohner: Stammgäste halten Dorfkneiper Hans-Peter Jursch noch die Treue
Immerhin. Denn Trebnitz zählt, die Häuser an der Straße nach Bad Dürrenberg mitgerechnet, nur 135 Einwohner. In vielen Orten dieser Größe ist die Dorfkneipe nur noch eine schwindende Erinnerung. Die neuen Öffnungszeiten habe er mit seinen Stammgästen abgesprochen, erzählt der Wirt. „Die letzten Mohikaner, die mir noch die Stange halten.“ Wie viele von ihnen kämen, sei unterschiedlich: „Mal ist hier alles voll“, deutet er auf die Barhocker und den großen Tisch in der Mitte des Gastraums. Mal seien sie zu fünft. Manchmal komme auch gar keiner. „Das merkt man. Wenn bis acht noch keiner da ist, mache ich wieder zu.“
Verloren sei die Zeit aber nicht, er habe immer was zu tun, schließlich bietet er gemeinsam mit seiner Frau auch Catering für private Feiern an. Von Braunsbedra bis Günthersdorf reiche das Liefergebiet, bis zu 100 Personen könnten sie versorgen. „Dadurch, dass das läuft, kann ich die Gaststätte noch aufrechterhalten.“
Dorfkneipe in Trebnitz in Trümmern: Im zweiten Weltkrieg traf eine Fliegerbombe das Haus
Die hat jedoch schon deutlich schlechtere Zeiten gesehen, wie Jursch Exkurs durch die Geschichte des Hauses verdeutlicht. Die von den Urgroßeltern im späten 19. Jahrhundert gegründete Gaststätte erlebte ein gutes halbes Jahrhundert später eine Blüte. Jurschs Großvater nahm, nach dem er nach Trebnitz eingeheiratet hatte, 1937 einen Kredit auf: „Die Gaststätte wurde umgebaut, ein Saal errichtet“, berichtet der Nachfahr. Doch der Großvater musste 1942 in den Krieg. Zwei Jahre später ereignete sich eine Katastrophe.
Eine Fliegerbombe traf das Haus. Jurschs Mutter und Großmutter überlebten nur mit Glück im Bierkeller. Der Wirt holt ein Fotoalbum, zeigt Bilder von Trümmern und einem tiefen Krater, der locker für ein Schwimmbecken reichen würde.
Dorfkneipe in Trebnitz: In den 70er Jahren standen die Schichtarbeiter hier morgens um 11 Uhr vor der Tür
Bis in die 1970er, als dann auch der heutige Gastronom einstieg, baute die Familie die Gaststätte wieder auf. Sie erlebte eine zweite Blüte. Die Schichtarbeiter hätten teils schon 11 Uhr morgens vor der Tür gewartet, um noch ein Feierabendbier zu trinken. Doch die Jurschs schenkten nicht nur aus, sie seien auch Post-, Lotto-, Eier-, Geflügelannahme- und Rentenauszahlstelle im Ort gewesen, erklärt der Kneipier. Nach der Wende sei das Tagesgeschäft jedoch weniger geworden, stattdessen gewannen Catering und Familienfeiern an Bedeutung.
Halbacht öffnet sich die Tür, eine Frau tritt ein. Sie will aber nur Platten zurückbringen und hat gleich noch eine Hiobsbotschaft parat. Die Skatrunde wird heute nicht zustandekommen, ihr Mann sei in der Kirchenversammlung, ein zweiter habe Zahnprobleme. Kurze Zeit später kommt dennoch der erste zahlende Gast des Abends. Jursch antizipiert die Bestellung und stellt ihm ein Flaschenbier hin.
Dorfkneipe in Trebnitz: Kneiper und Stammgäste werden hier zusammen alt
Minuten später herrscht Leben am Tresen, vier weitere Stammgäste sind eingetroffen. Alles Männer. „Wir hatten mal eine Frau hier“, berichtet der Wirt. „Die konnte mehr trinken als wir. Aber das ist schon lange her.“ Wissendes Gelächter. Sie teilen diese Erinnerung, sind doch alle schon jenseits der 50. „Wir werden zusammen alt“, witzelt Jursch. „Irgendwann ist dann Schluss.“
Jetzt seien sie aber froh, dass es überhaupt noch eine Kneipe in Trebnitz gibt, sagt einer der Stammgäste. Seine Krücke lehnt neben dem Barhocker. Die meisten im Ort, die Arbeit hätten, würden pendeln. Dennoch funktioniere das Dorfleben noch. Es gibt einen Heimatverein, eine hübsch restaurierte Kirche: „Aber die, die was machen, werden immer älter. Die Jungen suchen das Weite“, klagt der Gast und kritisiert: Es sei ja von der Politik gewollt, dass die Dörfer aushungern, wenn keine Baugenehmigungen erteilt werden. Zustimmendes Nicken. Trebnitz liegt in einem Schutzgebiet. Jursch berichtet von seinem Neffen, der hier bauen wollte, aber nicht durfte.
Seiner Gaststätte hilft diese Situation nicht. Neue Kundschaft zu finden, ist trotz der Nähe zu Merseburg schwer. Der Kneipenbetrieb bleibt daher eine Gratwanderung. Warum er die auf sich nimmt? Jursch überlegt kurz, dann zuckt er leicht mit den Schultern: „Man macht’s halt.“ (mz)
