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Die Fischbude Mücheln Die Fischbude Mücheln: Ehemaliges Firmengelände ist Schandfleck am Geiseltalsee

Von Diana Dünschel 05.01.2019, 11:00
So sah das Betriebsgelände in Mücheln 1985 aus.
So sah das Betriebsgelände in Mücheln 1985 aus. Stadtarchiv Mücheln

Mücheln - Wer zum Geiseltalsee-Hafen in Mücheln möchte, muss am Gelände des ehemaligen VEB Fischverarbeitung Mücheln, bei den Einheimischen kurz und liebevoll „die Fischbude“ genannt, vorbei.

Seit vielen Jahren ist es nun ungenutzt in Privatbesitz und verfällt. Eingeworfene Fensterscheiben am Wirtschafts- und Bürogebäude, Zerstörung an der Produktionshalle, Müll und Unrat überall bieten einen kläglichen, jämmerlichen Anblick.

Bis 1992 wurde noch produziert. Wer etwas zur Geschichte der Fabrik wissen möchte, geht ins Stadtarchiv. Mitarbeiter und Mitglieder des Kultur- und Heimatvereins haben die Historie aufgearbeitet. Demnach ging der VEB Fischverarbeitung Mücheln aus der Konservenfabrik Richard Bauer KG hervor. Sie befand sich im Ortsteil Zorbau und wurde 1923 gegründet. Der Betrieb bewirtschaftete Spargelfelder und eine Kirschplantage. Die Erzeugnisse wurden verarbeitet, um die Bevölkerung zu versorgen.

Die Umwandlung in einen fischverarbeitenden Betrieb, die Fritz Sturm KG, erfolgte 1957. Er bestand an diesem Standort bis 1970 und musste dann umziehen, weil Zorbau wegen der Braunkohle überbaggert wurde. Man entschied sich für das Gelände des Gleisbaubetriebes der Deutschen Reichsbahn unterhalb des Müchelner Bahnhofes. Dessen Nähe brauchte man, weil die Anlieferung des Fischs einerseits auf der Straße per Lkw und andererseits per Bahn über Kühlwaggons erfolgte.

Der Bau begann 1970. Die Produktion startete ein Jahr später mit 60 Beschäftigten, wobei ihre Zahl später auf 100 stieg. Vorwiegend arbeiteten hier Frauen im Zwei-Schicht-System an fünf Tagen pro Woche. Ihre Arbeit war eintönig und ermüdend. Trotz teilweise vorhandener Maschinen und Anlagen musste der Fisch größtenteils manuell bearbeitet werden.

VEB Fischverarbeitung Mücheln lieferte in etliche DDR-Bezirke 

Auf großen Tischen ausgebreitet, zerlegte man ihn fachgerecht mit Scheren und Messern. Nach Lagerung in einer Salzlösung wurde die Räucherware auf einen Meter lange Metallstäbe aufgespießt, geräuchert, verpackt, und die Kraftfahrer lieferten die Produkte in die Großhandelslager und Verkaufsstellen der Bezirke Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Erfurt und Suhl. Geräuchert wurden Forellen, Sprotten oder besonders in der Vorweihnachtszeit Karpfen und für die Eisleber Wiese in großen Mengen Heilbutt, insgesamt etwa 1500 Tonnen pro Jahr. Dazu kam saurer Fisch.

Klaus-Dieter Schulz arbeitete hier ab 1974 als Produktionsleiter und war für Planung, Einkauf und laufenden Betrieb zuständig. Er holte 1978 zusätzlich die dänische Linie nach Mücheln. Damit konnten jährlich 600 Tonnen Heringshappen in den Geschmacksrichtungen Dill-Sahne, Curry und Senf-Tunke hergestellt werden, allerdings nur nach vorgegebenem Rezept, was die Müchelner vor große Probleme stellte. „Wir mussten unseren eigenen Senf herstellen lassen. Der Dill wurde extra für uns in Calbe angebaut. Und die Currymischung kam aus Aschersleben“, erinnert er sich. Zu all dem Aufwand kam hinzu, dass sich herausstellte, dass die Kunden die Curry-Variante nicht mochten.

70er Jahre: Seelachsschnitzel aus Mücheln waren begehrt

Zudem wurde die Produktionspalette Ende der 70er Jahre durch Seelachsschnitzel erweitert, die sich als Renner herausstellten und deren Nachfrage trotz der Produktion von 300 bis 400 Tonnen pro Jahr größer war als das Angebot. In den 80er Jahren kam die Braterei hinzu.

Hier entstand der Brathering. „Unsere Produkte waren sehr begehrt. Fisch war ein Grundnahrungsmittel“, fasst Klaus-Dieter Schulz zusammen. Und er ist fest davon überzeugt, dass die Fischverarbeitung nach der Wende überlebensfähig war. Allerdings habe sich diese Massenproduktion nicht mehr verkaufen lassen. Es gab keine Aufträge mehr.

1990 wurde ein Neustart als Geiseltal Fisch-Feinkost GmbH Mücheln versucht. 1991 kam es zur Liquidation. Die Belegschaft besetzte den Betrieb. Alles erfolglos. Am 31. März 1992 wurde allen Beschäftigten die Kündigung überreicht. Die Ära der Fischverarbeitung am Bahnhof endete.

Seit Herbst dieses Jahres gibt es wieder Hoffnung, dass der Schandfleck einer modernen Bebauung an Deutschlands größtem künstlich angelegten See weicht. Da wurde im Bauausschuss und im Stadtrat darüber informiert, dass für das 15.000 Quadratmeter große Gelände jetzt ein Bebauungskonzept seitens des Grundstücksbesitzers vorliegt. Das Konzept beinhaltet eine Seniorenwohnanlage, sieben Appartement- und weitere sechs Einfamilienhäuser. Vorgesehen ist nun, dazu einen Bebauungsplan zu erarbeiten, weil der die Chancen erhöht, das Grundstück gewinnbringend zu verkaufen. (mz)