Bildung für Behinderte Bildung im Kreis Merseburg: Behinderte konnten seit 1991 erstmals eine Bildungseinrichtung besuchen. Ein Beispiel aus Braunsbedra.

Braunsbedra - Marion Seyffarth erinnert sich noch genau an die hektischen Wochen in diesem August 1991. Da bekam die Familie die Nachricht, dass Sohn Marco am 1. September eingeschult wird.
Vor der Wende war es schwierig, behinderte Kinder zu fördern
Für jeden anderen eine Selbstverständlichkeit, für die Braunsbedraerin eine Überraschung. Denn Marco, zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt, war durch einen angeborenen Gendefekt in seiner Entwicklung zurückgeblieben, besuchte damals in Leuna eine Einrichtung speziell für behinderte Kinder. Und danach? Seine Mama zuckt mit den Schultern.
„Man stand als Eltern eines behinderten Kindes allein auf weiter Flur“. Was Marion Seyffarth meint: Schulbildung in dem Sinne war für Mädchen und Jungen mit Handicap bis dahin nicht vorgesehen, nur die Unterbringung in Heimen oder die Hospitalisierung, also die Unterbringung in einem Krankenhaus.
Doch im Schuljahr 1991/92 eröffnete in der Merseburger Goethestraße die erste Förderschule für geistige Entwicklung im damaligen Landkreis Merseburg. Und Marco wurde mitsamt allen anderen Kindern seiner Leunaer Gruppe kurzerhand von den Behörden dieser Schule zugewiesen.
Genau genommen kam er so sogar ein Jahr eher in die Schule als gleichaltrige gesunde Kinder. „Wir hatten nur zwei Wochen Zeit, alles Nötige zu besorgen“, erinnert sich seine Mama und zeigt Familienfotos von der Einschulungsfeier, auf denen der kleine Lockenkopf Marco ganz stolz seine große blaue Zuckertüte trägt.
Marco Seyffarth besuchte eine Förderschule in Großkayna
„Die Schule war ein Segen“, ist Marion Seyffarth bis heute dankbar für diese Chance für ihren Sohn, der ab der Eröffnung der Förderschule in Großkayna 1996 dann dort am Unterricht teilnahm. „Die Schule hat ihm richtig was gebracht. Es ging nicht nur darum, die Kinder aufzubewahren, sondern sie sinnvoll zu beschäftigen.“ Ihr kleiner „Hippelfloh“, wie sie ihn nennt, habe viel gelernt, sei ruhiger und ausgeglichener geworden.
Der heute 31-Jährige werde zwar nie lesen und schreiben können und sei nicht fähig, sich lange auf eine Aufgabe zu konzentrieren. „Aber er hat ein super Gedächtnis. Beim Memory spielen hat man gegen ihn keine Chance“, sagt seine Mama nicht ohne Stolz.
Vor allem, dass von dem Schulteam von Anfang an so viel Wert auf die Vermittlung praktischer Dinge des Lebens wie Farben und Formen, Hilfe beim Kochen oder motorische Fähigkeiten gelegt wurde, findet sie rückblickend sehr gut. Denn beim Kochen helfen, das tue Marco bei seinen Besuchen zu Hause jedes Wochenende zum Beispiel immer noch sehr gern.
Der junge Mann wird nie alleine leben können. Ausgezogen ist er daheim dennoch schon vor Jahren, bezog ein Zimmer im Leunaer Wohnheim „Haus am Hügel“ der Lebenshilfe Merseburg gGmbH. Marion Seyffarth hat ihn zwar nur schweren Herzens ziehen lassen, da ging es ihr wie jeder anderen Mutter. „Aber ich wollte ihm die Chance auf ein eigenes Leben geben. Hier zu Hause hätte er doch nur mich gehabt. Und ich werde auch nicht jünger“, sagt sie.
Heute arbeitet Marco Seyffarth in den Werkstätten der Stiftung "Samariterherberge" in Horburg
So hat Marco in Leuna heute sein gewohntes Umfeld, seine Freunde. Unter der Woche geht er arbeiten in den Werkstätten für behinderte Menschen der Stiftung „Samariterherberge“ Horburg.
„Etwas Besseres konnte ihm nicht passieren. Er ist erwachsen geworden“, schätzt seine Mama ein. Sie erwartet ihn nun jeden Freitagabend. Gemeinsam verbringen sie die freie Zeit bis zum Sonntag. Oftmals auch mit dem Rest der Familie, zu der auch Marcos ältere Schwester mit Mann und Kind gehören. Sie hat Marco zum stolzen Onkel eines heute zweijährigen Neffens gemacht. Er sei ganz vernarrt in den Kleinen, erzählt seine Mama mit leuchtenden Augen.
(mz)
