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Ausstellung in Merseburg Ausstellung in Merseburg: Willi Sitte widmet sich griechischer Mythologie

Von Uljana Wuttig-Vogler 19.02.2015, 13:14
„Warschauer Paar 1943“ aus dem Jahr 1967
„Warschauer Paar 1943“ aus dem Jahr 1967 Peter Wölk/Repro Lizenz

Merseburg - Als Peleus, der König von Phthia, die Meernymphe Thetis heiratete, waren alle Götter zur Hochzeit eingeladen. Nur Eris, die Göttin der Zwietracht und des Streites, wurde ausgeschlossen. Sie kam dennoch und warf voller Zorn einen goldenen Apfel mit der Aufschrift „Für die Schönste!“ unter die Gäste. Sofort entbrannte unter den drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite ein Streit darüber. Jede beanspruchte den Apfel für sich. Schließlich sprach Zeus ein Machtwort, um den Zwist zu beenden. Paris, der jüngste Sohn des Trojanerkönigs Priamos, sollte die Entscheidung treffen.

Gegner der Schönheitswettbewerbe

Das Urteil des Paris ist eine berühmte Episode aus der griechischen Mythologie. Sie hat auch den 2013 verstorbenen Maler Willi Sitte sehr beschäftigt. Sitte habe das Urteil des Paris, so die promovierte Kunsthistorikerin Gisela Schirmer aus Osnabrück, an Schönheitswettbewerbe erinnert, über die er sich ärgerte, „weil er die Abschätzungen und Festlegungen widerlich fand“. Wenn schon, so meinte er, dann sollten auch Frauen das gleiche Recht haben, und so schuf er 1971 den weiblichen Paris.

Dieser und ähnliche Arbeiten zu besagtem Thema sind derzeit in der Willi-Sitte-Galerie in Merseburg im Rahmen der Ausstellung „Christliche und Mythologische Bildsprache im Werk von Willi Sitte“ zu sehen, die bis zum Januar nächsten Jahres gezeigt wird. Der Titel wurde nicht zufällig gewählt, wie Hans-Hubert Werner, Vorsitzender der Willi-Sitte-Stiftung zur Ausstellungseröffnung, sagte. Man habe nach einem Thema gesucht, das mit dem diesjährigen Jubiläum „1 000 Jahre Grundsteinlegung Merseburger Dom“ korrespondiere. Die Schau präsentiert rund 70 Arbeiten, die zwischen 1945 und 2002 entstanden und sich durch ganz unterschiedlicher Bildsprachen auszeichnen.

Die neue Ausstellung mit Sitte-Werken wird bis zum 15. Januar 2016 dauern. Zudem sind bis zum 14. April Malereien, Zeichnungen und Plastiken von Burghard Aust aus Halle zu sehen. Am 17. März, 17 Uhr, führt Aust durch die Schau und stellt sich den Fragen der Besucher. Die Galerie ist bis Ende Februar dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr geöffnet, danach von 10 bis 17 Uhr. (uwv)

Die Gestalten der griechisch-römischen Mythologie - wie Orest, Danae, Harpyien und Ikarus beispielsweise - sind bevorzugt in den Sitte-Arbeiten der 50er Jahre zu finden. „Das ist die Zeit seines zweiten autodidaktischen Kunststudiums, in dem er sich mit Unterstützung seiner Hallenser Kunstfreunde vom Zeichner zum Maler ausbildete“, berichtet Schirmer. Er orientierte sich unter anderem an Picasso, an Leger - wobei er damit in Widerspruch mit der Kunstpolitik der DDR geriet, die eine realistische Malerei nach sowjetischem Vorbild forderte. In dieser schwierigen Schaffensphase sah er laut Schirmer in der griechisch-römischen Mythologie ein unverfängliches Experimentierfeld. Sitte interpretierte die überlieferten Geschichten sehr frei. Da ist beispielsweise die Königstochter Danae, die von ihrem Vater in einen Turm gesperrt wird, da ein Orakel verkündet hatte, dass ihn sein Enkel töten werde. Aber Zeus findet als Goldregen durch eine Dachöffnung Einlass und zeugt Perseus.

Willi Sitte machte daraus eine keusche Danae, die die Begegnung mit Zeus verschlief. „Daraufhin angesprochen erzählte er mir, dass ihn die mythische Geschichte nicht besonders interessiert hat. Es waren die formalen Aspekte - die Liegende, die Sitzenden, die Horizontale, die Vertikale - die ihn interessierten“, erzählt Schirmer.

Nichtsdestotrotz wurde Sitte in den 50er Jahren für seine „so genannten formalistischen Spielereien“ bestraft, indem man ihn an der Burg Giebichenstein, an der er einen Lehrauftrag hatte, in die Textilabteilung versetzte - in der Überzeugung, dass er dort keinen ideologischen Schaden anrichten könnte. Doch der Maler baute mit Energie eine Teppichmanufaktur auf und lieferte erste Entwürfe dafür. So sei 1958 der Teppich „Ikarus“ entstanden. Der habe der Burg so gefallen, dass sie den Gobelin ankaufte, und dessen Direktor Walter Funkat ihn sogar in sein Arbeitszimmer hing. Außerhalb der Bildungsstätte sei das Machwerk allerdings auf Missfallen gestoßen. „So wurde eine Arbeiterbrigade geschickt, die entsprechend aufgestachelt, das dekadente Machwerk, auf dem eine komische Figur mit braunen Kackarsch zu sehen sei, wie es hieß, verurteilte,“ so Schirmer. Der Teppich wurde abgehängt, und Sitte musste die Brigade in ihrem Werk besuchen.

Auftragswerk eines Arztes

Der christlichen Ikonographie hingegen bediente sich Sitte in anderen Zusammenhängen. „Nach seinen eigenen Worten war es seine Absicht, mit ihr alle Kräfte zu erreichen, die ’für die bewegenden Menschheitsfragen unserer Zeit aufgeschlossen sind’“, berichtet die Kunsthistorikerin. In diesem Sinne habe Sitte seit den 1960er Jahren Motive der Passion in seinen Bildern verwendet, um sich mit dem Nationalsozialismus, der Gewalt und den weltweiten kriegerischen Konflikten auseinanderzusetzen. So verwendete er laut der Kunsthistorikerin beim „Warschauer Paar“ das Motiv der Pietá, der Marienklage, um das unermessliche Leid, das die Nationalsozialisten über die Menschen gebracht hat, darzustellen. Das Bild war 1967 vom halleschen Kardiologen und Kunstsammler Rudolf Zuckermann in Auftrag gegeben worden. „Als Jude wünschte sich dieser, veranlasst durch antisemitische Vorgänge, ein Menschenpaar, das an den Aufstand im Warschauer Ghetto erinnert“, so Schirmer. Entgegen der christlichen Bildtradition lasse er die Frau nicht über den ermordeten Mann in demutsvoller Trauer verharren, sondern ihre aufbegehrende Haltung richte sich gegen den aufkommenden Antisemitismus. Das Motiv des Gekreuzigten findet sich in Sittes Werk seit den 1960er Jahren und weiche ebenfalls von der christlichen Überlieferung ab. Statt der Dornenkrone und Seitenwunde wurde der Gefolterte mit einer Zielscheibe versehen. „Damit lenkte Sitte die Interpretation auf die in der DDR heftig geführten Diskussion um die Militärseelsorge“, so Schirmer. Ein Vertrag dazu war 1957 zwischen der BRD und der Evangelischen Kirche unterzeichnet worden, der in der DDR auf heftige Kritik stieß, weil er die kriegerische Gewalt in aller Welt legitimiert habe. (mz)

„Danae II“
„Danae II“
Peter Wölk/Repro Lizenz