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Innovation aus dem Saalekreis Aus Merseburg kommt die Bio-Revolution für Festivalgänger und Gartenfreunde

Dank eines Grundstoffs aus Merseburg kann jetzt umweltbewusst getrunken werden. Wieso auch der Plastikblumentopf schon bald Geschichte sein könnte. Australier kommen mit neuesten Ideen zu Biokunststoff-Kongress in Halle. Hier geht's zur kostenfreien Anmeldung für den Livestream.

Von Undine Freyberg 09.06.2024, 12:00
Produktionsleiter Eduard Putsch präsentiert eine Neuheit aus Merseburger Biokunststoff:  den partytauglichen Trinkbecher für Umweltbewusste.
Produktionsleiter Eduard Putsch präsentiert eine Neuheit aus Merseburger Biokunststoff: den partytauglichen Trinkbecher für Umweltbewusste. (Foto: Undine Freyberg)

Merseburg/MZ. - Jetzt hat der Becher auch einen partytauglichen Deckel – und das nur durch Zufall.

Bio-Partybecher mit Wespenschutz

„Die Firma Hachtel aus Baden-Württemberg hat aus unserem Grundstoff Becher hergestellt – eigentlich nur mit einem Deckel zum Auflegen“, erzählt Peter Putsch (63), der Chef der Merseburger Firma Exipnos. „Und dann sind wir zufällig auf die Firma Joosiecap gestoßen, die flexible Deckel aus Biokunststoff produziert“, erinnert sich Sohn Eduard Putsch (26), Produktionsleiter von Exipnos. Und fertig ist er, der To-go-Becher für Umweltbewusste. „Nur der Trinkhalm ist noch nicht bio. Aber das kriegen wir auch noch hin“, meint Putsch Senior. „Denn für Festivals wollen die Leute jetzt Becher mit Deckel haben, damit ihnen keiner was ins Getränk mischt und keine Wespen reinfliegen.“ Der Trinkhalm, richtig angebracht, verhindert sogar, dass der Becher ausläuft, wenn er umkippt.

Das Geheimnis des Biokunststoffs

Das Geheimnis von Becher und Deckel: Sie sehen nicht nur schicker aus als öko, sie sind sogar bio. Beide bestehen aus biobasiertem Kunststoff und sind biologisch abbaubar. Wenn gewünscht, verschwinden sie also schneller und umweltfreundlicher als die gemeine Plastiktüte, die 400 Jahre lebt. Dieser Biokunststoff hat nämlich ähnliche Eigenschaften wie die aktuellen Massenkunststoffe Polyethylen oder Polypropylen, kann aber von Mikroorganismen wie Pilzen, Bakterien und Insekten ähnlich wie zum Beispiel Holz auf natürliche Weise abgebaut werden.

Seit einigen Jahren kommt aus der kleinen Firma in Merseburg etwas, das sich anschickt, Kunststoff auf umweltfreundliche Weise zu ersetzen. Biocelain ist der Name des Granulats aus dem Hause Exipnos, das der Ausgangsstoff für verschiedene Produkte ist. Das erste Produkt aus Biokunststoff waren kleine Kaffeebecher in unterschiedlichen Farben. Da die ehrlicherweise aussahen wie Mini-Blumentöpfe, bekommen sie aktuell ihren zweiten Auftritt als Anzuchttöpfe für Pflanzen. Einfach ein Loch in den Boden. Fertig.

Weitere Produkte

Mittlerweile gibt es noch viel mehr neue Produkte aus dem Bio-Granulat: Trinkflaschen, die man ans Fahrrad klemmen kann, zum Beispiel. Auf der Landesgartenschau in Bad Dürrenberg wurden gerade kleine Gartengeräte vorgestellt, mit denen es sich wahlweise aber auch gut am Strand oder im Sandkasten buddeln lässt. Beide Dinge werden von anderen Firmen produziert.

Neue Produkte aus Biocelain, das in Merseburg entwickelt wurde
Neue Produkte aus Biocelain, das in Merseburg entwickelt wurde
(Foto: U. Freyberg)

Bald keine Plastikblumentöpfe mehr?

Auch in der Gartenbauindustrie haben die Ideen aus Merseburg zu einem Umdenken geführt. Mehrere Hersteller wollen künftig statt Plastik-Blumentöpfen Töpfe aus Biokunststoff produzieren. „Darüber sind wir sehr froh, denn das ist ja eine unglaubliche Verschwendung. Wie lange benutzt man denn diese Töpfe?“, fragt Eduard Putsch. „Man kauft die Pflanzen in diesen Töpfen im Baumarkt oder im Gartencenter, pflanzt die Pflanzen in den Boden und die Töpfe fliegen weg.“ Man habe jetzt schon zwei Hersteller, die ihre Produktion auf Biomaterial umstellen wollen. „Die sind auf uns zugekommen, weil Kunden sie darauf angesprochen hatten. Und die Töpfe aus unserem Material kann man einfach mit einbuddeln.“

Biologisch abbaubarer Kunststoff aus Seegras und Holz

Die neuesten Ideen aus aller Welt zum Thema Biokunststoff am 11. Juni in Halle erleben – oder wahlweise auch im Livestream. Die Merseburger Firma Exipnos gehört, wie knapp 50 weitere Unternehmen, Institutionen und auch Einzelpersonen, der „Fördergemeinschaft für Polymerentwicklung und Kunststofftechnik in Mitteldeutschland“ an, die kurz Polykum genannt wird. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Merseburg veranstaltet in diesem Jahr erneut einen Kongress zum Thema Biokunststoff.

Dieser findet ganz analog in der Händelhalle in Halle statt, ist aber online von nahezu jedem Ort der Welt aus zu verfolgen. Partnerland ist in diesem Jahr Australien, daher auch der frühe Start um 8 Uhr am 11. Juni. Denn dann beginnt an der Universität von Queensland um 16 Uhr dortiger Zeit eine „Lange Nacht der Biokunststoffforschung“. Und die Konferenz in Halle kann in einem Hörsaal ebenfalls live verfolgt werden.

Ideen aus Australien und Preise für die Besten

Australische Forscher stellen in der Saalestadt neueste Studienergebnisse im Bereich der Polyhydroxyalkanoate (PHA) vor. PHA sind eine Klasse von Biopolyestern, die von Bakterien als natürliche Energie- und Kohlenstoffspeicher gebildet und von Menschen zur Herstellung biobasierter und bioabbaubarer Kunststoffe genutzt werden können. PHA lassen sich sogar aus Seegras erzeugen, und wie das geht, wird ebenfalls auf dem Kongress in Halle vorgestellt.

Peter Putsch
Peter Putsch
(Foto: Undine Freyberg)

Im Rahmen der Konferenz werden erneut die Biopolymer Innovation Awards vergeben – diesmal sogar an vier Projekte. „Die Leistungsdichte ist einfach enorm groß“, sagte Peter Putsch, der geschäftsführender Vorsitzender von Polykum ist, gegenüber der MZ. Ein eingereichtes Projekt hat Putsch besonders fasziniert. „Ich hätte nie gedacht, dass man auf so einfache Weise die Bernsteinsäure herstellen kann, die man für Biokunststoff braucht. Diese Forscher haben dafür Holzabfälle genutzt. Unglaublich.“

Polykum ist ein Kooperationsnetzwerk aus Kunststoffherstellern und -verarbeitern, Maschinenbauern, Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Dienstleistern und wirtschaftsnahen Einrichtungen und wurde im Jahr 2002 gegründet.

11. Juni, ab 8 Uhr, „Biopolymer – Processing & Moulding“;Wer den Kongress verfolgen will, kann sich reinklicken (mit kostenloser Anmeldeoption für die Online-Teilnahme): www.biopolymer-congress.polykum.de