Absolventen gründen Firmen Absolventen gründen Firmen: Gründerparadies Hochschule Merseburg als Wirtschaftsfaktor

Merseburg - Ihr Programm sei eine Mischung aus Whats-App-Gruppe und Doodle-Terminfindung, erklärt Robert Kleßny das Hauptprodukt von Plevendo. Die Firma ist mit ihrer App, die Freunden digital helfen soll, sich in der analogen Welt besser zusammenzufinden, im Vorjahr an den Start gegangen. Da hatte Kleßny gerade sein Betriebswirtschaftsstudium an der Hochschule Merseburg abgeschlossen. Die wird in Diskussionen ja gern als Wirtschaftsmotor für die Region bezeichnet. Ausgründungen, wie die von Kleßny und seinem Geschäftspartner Toni Kuschan, sind ein wesentlicher Indikator dafür, dass sie diese Funktion auch tatsächlich erfüllt.
Der Ort an dem Jungunternehmen am einfachsten zu finden sind, liegt nur einen kräftigen Steinwurf von der Hochschule entfernt: das Merseburger Innovations- und Technologie-Zentrum (Mitz). Deren Leiterin Kathrin Schaper-Thoma sagt: „Ohne die Hochschule wäre ein Großteil meiner Firmen nicht da.“ Diese bemüht sich auch redlich unternehmungswilligen Studenten unter die Arme zu greifen. So gibt etwa den Gründerservice. Für den ist Annette Henn zuständig: „Unsere Aufgabe ist es, Ideen weiterzuentwickeln, bis hin zur Umsetzung auf dem Markt.“
Hochschule Merseburg: 18 Gründungen in fünf Jahren
Dies machen sie vor allem durch Beratung. Ihnen gegenüber sitzen dabei meist Studenten. Dass Professoren zu Gründern werden, wie jüngst bei der IT-Datenschutzfirma Robin Data sei die Ausnahme, sagt Henn, die in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 18 Ausgründungen aus der Hochschule gezählt hat. Die Größe reiche von Selbstständigen bis Firmen mit mehreren Dutzend Angestellten. Auch die Spannbreite der Branchen sei groß: „Die ist so breit wie das Fächerspektrum der Hochschule, reicht vom sozialen bis zum technischen Bereich.“
Wobei Henn einschränkt, Naturwissenschaftler und Ingenieure seien unter den Gründern unterrepräsentiert, weil für sie die Jobangebote auf dem Markt so gut sind. Außerdem seien gerade bei Ingenieuren Firmengründungen mit hohen Kosten verbunden. „Ansonsten ist die Kapitalbeschaffung weniger die Hürde als die Reife der Idee.“ Denn Sachsen-Anhalt habe gut gefüllte Fördertöpfe. Für die Startphase könnten Gründer auch ein Stipendium bekommen. Dieses erhält aktuell auch Robert Kleßny von Plevento. Er ist voll des Lobes für den Gründerservice: „Ohne den Gründerservice wäre das kaum möglich gewesen.“
Hochschule Merseburg: Je exzellenter eine Hochschule ist, umso attraktiver wird die Nähe zu ihr
Es sind eben auch solche Details die entscheidend sind, damit eine Hochschule tatsächlich auch zur Prosperität einer Region beitragen kann. Ihre physische Präsens allein ist dafür aus Sicht von Viktor Slavtchev vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle nämlich kein Garant. Zwar sei die Qualität einer Hochschule in Ausbildung und Forschung einer der wichtigsten Standortfaktoren. „Je exzellenter eine Hochschule ist, umso attraktiver wird die Nähe zu ihr für Gründer aus der Hochschule heraus und Unternehmen aus anderen Regionen.“
Jedoch brauche eine Hochschule auch ein entsprechendes Umfeld, um ihr volles Potenzial für die Region entfalten zu können. „Finden Absolventen und angehende Gründer lokal nicht die entsprechenden Bedingungen, wandern sie ab“, sagt Slavtchef. Insbesondere die gut Ausgebildeten seien vergleichsweise mobil. Deshalb müsse die Politik ein entsprechendes Umfeld schaffen.
Hochschule Merseburg: Softwareanwendungen für Behörden
„Eine Berücksichtigung lokaler Wirtschafts- und Industriestrukturen in Lehr- und Forschungsprogramme der Hochschulen kann unter Umständen sinnvoll sein, jedoch nicht um jeden Preis: Es ist die Qualität, die zählt.“ In Merseburg gibt es solche thematischen Schwerpunkte etwa in Form der Digitalisierung. Viele der Firmen im Mitz und damit auch der Ausgründungen der Hochschule sind in der IT-Branche unterwegs. Gerade erst wurden mit dem Regionalen Digitalisierungszentrum zwei Stellen geschaffen, um die vorhandene Akteure besser zu vernetzen.
Zu denen zählt auch Brain-SSC. Das Unternehmen produziert Softwareanwendungen für Behörden und ist zumindest zur Hälfte eine Ausgründung der Hochschule. Sein Kompagnon Ronny Weinkauf, der heute an der Hochschule als Informatikprofessor lehrt, habe 1999 in Merseburg mit einem Büro angefangen, erzählt Geschäftsführer Sirko Scheffler. Der gründete etwa zur selben Zeit eine eigene Firma in Halle. Vor knapp zehn Jahren fusionierten beide zu Brain-SSC – und die Gründer standen vor der Standortwahl: Halle oder Merseburg?
Hochschule Merseburg: Nähe zur Hochschule gibt immer die Möglichkeiten nach Fachkräften
Die knapp 40 Mitarbeiter arbeiten heute in der Domstadt: „Die Hochschule und das Mitz waren dafür ausschlaggebend“, blickt Scheffler zurück: „Die Nähe zur Hochschule gibt immer die Möglichkeiten nach Fachkräften zu gucken.“ Ein Umstand, den auch andere Unternehmer hervorheben. Scheffler fügt noch an seine Firma brauche zudem Innovation und dafür brauche sie wiederum ein Wissensniveau, wie es an der Hochschule zu finden ist.
Von dem hat auch Kleßny profitiert. Seine App Idee ist während des Studiums entstanden. Ob sie sich am Ende auch auszahlt, steht noch auf einem anderen Blatt. „Selbst finanzieren können wir uns bisher noch nicht“, sagt der Plevendo-Gründer. Ihr Geld verdienen will die Firma durch Verträge mit Werbepartnern, die den Nutzern Alternativen zum Grillen im Garten wie etwa Lasertag oder Bowling anpreisen. Bisher hat das Unternehmen gut anderthalb Dutzend solcher zahlenden Partner.
Wenn es im Laufe des Jahres nicht mehr werden, kann das Abenteuer Unternehmertum für Kleßny bald zu Ende sein. Er nimmt diese Gefahr gelassen. „Nur eins von zehn Start-Ups überlebt die ersten zwei Jahre. Aber was man in der Zeit lernt, kann man mit Erfahrungen in anderen Jobs nicht aufwiegen.“ (mz)