Liege-, Feld- oder Klappstühle und Polstermöbel Liege-, Feld- oder Klappstühle und Polstermöbel: Viele Patente kamen aus Bad Suderode

Gernrode/Bad Suderode - Der Harz und sein Vorland waren die ideale Grundlage für die Entwicklung der Holzindustrie und speziell der Möbelindustrie. Ortschaften wie Gernrode und Bad Suderode verfügten über die notwendigen Ressourcen wie Holz und Arbeitskräfte.
Die Herstellung von Bauernmöbeln und Holzerzeugnissen zur Brotaufbewahrung ist bis in das 16. Jahrhundert nachweisbar. Das Gebiet verfügte offensichtlich auch über innovative Firmengründer, wie das folgende Beispiel zeigen soll.
Möbelindustrie neu gegliedert
Im Jahr 1979 wurde die Möbelindustrie der damaligen DDR neu gegliedert, es entstanden sieben Möbelkombinate und ein Zulieferkombinat. Die Möbel produzierenden Betriebe der Bezirke Halle und Magdeburg wurden dem Möbelkombinat Dessau zugeordnet. Der Raum Harz war ein Zentrum der Möbelherstellung.
Die Stadt Gernrode hat eine große Vergangenheit bei der Zündholzherstellung. Im Zeitraum von 1835 bis 1943 gab es mit einer unterschiedlichen Lebensdauer der Betriebe drei Zündholzfabrikanten.
Eine Vielzahl von Polstermöbeln
Im Jahr 1922 gründete Willi Woelm in Gernrode eine Firma zur Produktion von Polstermöbeln, Polsterwolle, Polsterwatte und Matratzen. Im Jahr 1929 beschäftigte er sogar 118 Mitarbeiter. Nach dem Krieg wurde die Fertigung von Polstermöbeln durch den Volkseigenen Betrieb (VEB) Polsterwaren Gernrode fortgeführt.
Die Vorgeschichte des Betriebes ist leider nicht bekannt. Wie oft in der Möbelindustrie ist zu vermuten, dass es eine Produktionsgenossenschaft des Handwerk (PGH) als Vorgänger gab. Geleitet wurde der Betrieb seit Beginn der 1970er Jahre von Bernhard Lehmann.
Unter seiner Leitung wurde eine Vielzahl von Polstermöbeln entwickelt, die sich durch gute Formgestaltung und Produktqualität auszeichneten. Zur Zeit der Kombinatsgründung Ende 1979 arbeiteten in Gernrode etwa 200 Mitarbeiter, die Polsterwaren für 21 Millionen Mark herstellten. Der Betrieb konnte 1980/1981 noch eine Investition in ein neues Fertigungsgebäude realisieren. Nach der Wende trat der Betrieb noch einmal in das Licht der Öffentlichkeit: Der letzte Betriebsdirektor Hartmut Bürger wurde ermordet aufgefunden.
Bad Suderode war Sitz zweier Möbelbetriebe, hier arbeiteten der VEB Klappmöbel und der VEB Wäschetruhen. Beide wurden zum 1. Oktober 1979 wie die anderen Volkseigenen Betriebe dem neu gegründeten VEB Möbelkombinat Dessau angegliedert. Zur Kombinatsgründung 1979 waren 93 Mitarbeiter angestellt, sie produzierten Waren im
Wert von ca. 3 Millionen Mark
Der Betrieb Klappmöbel stellte einen Kinderstuhl Modell Moni und Heidi sowie einen Kindertisch Modell Peter her. Vermutlich zu Beginn der 80er Jahre wurde der Betrieb an den VEB Möbelwerk Quedlinburg angegliedert. Vorläufer des VEB Klappmöbel war vermutlich die Firma Reinhard Jahn.
Liege-, Feld- und Klappstühle hergestellt
Vor dem Krieg wurde die Firma Reinhard Jahn Spezialfabrik für Klappmöbel mit einer umfangreichen Produktion von Liege-, Feld- und Klappstühlen gegründet. Ein umfangreicher Erzeugniskatalog der Firma zeigt sehr schöne Beispiele. Der Katalog ist in der Harzbibliothek Wernigerode einsehbar. Hergestellt wurden Liegestühle und weitere Klappmöbel.
Reinhard Jahn hat in seiner Firma mehrere Erfindungen entwickelt und als Patent eingereicht. Ein Patent vom 17. November 1932 enthielt die Erfindung einer Wäscheklammer aus Holz mit drei gleich starken abgerundeten Zinken. Diese Klammer sollte verhindern, dass durch scharfe Kanten einer flachen Wäscheklammer der Stoff der Textilie beschädigt wurde. Das Patent wurde zuerst in der Schweiz, dann in Österreich und zuletzt in Deutschland angemeldet.
Jahn war ein sehr kreativer Firmengründer
Ein weiteres Patent wurde am 26. November 1933 angemeldet. Es beschäftigte sich mit der Befestigung der Sitzbahn an Sitz- und Liegemöbeln. Erreicht werden sollte damit eine längere Haltbarkeit des Sitzstoffes. Ein zusammenschiebbares Bett war Gegenstand eines weiteren Patentes vom 8. Juli 1934.
Jahn war offensichtlich ein sehr kreativer Firmengründer. Leider ist nicht bekannt, ob und wie erfolgreich seine Geschäfte waren. Die Verbindung zum VEB Klappmöbel ist anzunehmen, aber nicht nachweisbar.
Fortschreibung ist geplant
1922 entstand ebenfalls in Bad Suderode die Firma Otto Scheffler Liegestühle und Gartenmöbel. Etwa 60 bis 70 Mitarbeiter waren angestellt, im Jahr 1931 oder 1932 musste aber Konkurs angemeldet werden. Ebenfalls in Bad Suderode war der VEB Wäschetruhen ansässig. Geleitet wurde der Betrieb von Doris Grosch, Stellvertreterin war Irene Oppermann. Mit 36 Arbeitskräften produzierte der Betrieb Erzeugnisse im Wert von 4,5 Millionen Mark. Zum 1. Januar 1983 erfolgte die Angliederung an VEB Polsterwaren Gernrode.
Über die Betriebe existiert leider sehr wenig Wissen. Mit dem Artikel soll an das Leben und die Tätigkeit der dort arbeitenden Menschen erinnert werden. Wünschenswert wäre es, wenn noch lebende Zeitzeugen oder deren Nachfahren vorhandenes Material in Form von Texten, Bildern, Brigadetagebüchern zur weiteren Fortschreibung der Betriebsgeschichte bereitstellen könnten.
Dazu gehören auch Bilder der leitenden Mitarbeiter. Der Autor, selbst ein ehemaliger Mitarbeiter im Möbelkombinat, beabsichtigt die Fortschreibung der Geschichte des Kombinates und aller - auch der kleinen - Betriebe und freut sich über alle Hinweise. (mz)


