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Zwist um entgangene Leistungen

Von WLADIMIR KLESCHTSCHOW 25.06.2009, 17:29

GRÖBZIG/MZ. - Für die rund 3 000 Einwohner zählende Stadt ist das viel Geld, zumal ihr Haushalt seit Jahren defizitär und in Konsolidierung ist. Das Pikante an der Sache: Der Architekt heißt Lutz Webel und ist zugleich ehrenamtlicher Bürgermeister von Gröbzig.

Ein Vertrag aus den 90ern

Seine Forderungen basieren auf einem Dokument aus den Zeiten, als Webel noch kein Bürgermeister war. Speziell geht es um Aufträge, die das städtische Sanierungsgebiet betreffen. Eine Anwaltskanzlei in Halle, von der Webel vertreten wird, verwies bereits Ende Februar darauf, dass ihrem Mandanten laut einem zwischen Webel und der Stadt 1995 abgeschlossenen Vertrag die Funktion eines Sanierungsbeauftragten der Stadt übertragen worden war. Aus dem Vertrag, der nach MZ-Informationen unbefristet ist, folge, dass alle sanierungsrechtlichen Genehmigungen für die Stadt ausschließlich von Webel bearbeitet werden. Mehr noch. Der Anwalt vertritt den Standpunkt, der Vertrag begründe den Anspruch seines Mandanten, mit sämtlichen städtischen Planungs- und Bauaufgaben für das Sanierungsgebiet beauftragt zu werden.

In den ersten Jahren sei der Vertrag so "gelebt" worden, vermerkt der Anwalt. Nachdem Webel Bürgermeister geworden sei, habe es jedoch Bemühungen "einiger Kräfte" gegeben, den Vertrag zu negieren. Webel sei wiederholt nicht in die Sanierungsbearbeitung einbezogen worden. Auch habe er Aufträge nicht erhalten, die ihm zustünden.

Im Anwaltsschreiben wird die Stadt aufgefordert, Webel künftig vertragsgemäß an "sämtlichen im Sanierungsgebiet befindlichen und im Vertrag geregelten Tätigkeiten zu beteiligen" sowie Einzelplanungsaufträge, die sich auf das Sanierungsgebiet beziehen, ausschließlich an ihn zu erteilen. Die Gröbziger Stadträte sollen außerdem eine Auskunft darüber erteilen, welche planerischen oder Bauaufträge im Sanierungsgebiet in der Vergangenheit erteilt und welche Honorare an andere Planungsbüros gezahlt wurden. Die Stadt solle einen Betrag, dessen Höhe den Zahlungen an fremde Büros entspricht, an Lutz Webel entrichten und dem Architekten auch das Honorar für die Einschaltung der Anwaltskanzlei ersetzen.

Stadträte werden nervös

Ende Mai kommt von der Anwaltskanzlei ein weiteres Schreiben, in dem schon von einer möglichen Klage beim zuständigen Landgericht die Rede ist. Da die Stadt Gröbzig nicht auf die Angelegenheit reagiere, sehe sein Mandant keine andere Möglichkeit, eine Klärung herbeizuführen. In dem Schreiben wird nun eine konkrete Höhe der finanziellen Forderung für entgangene Honorare genannt: 205 500 Euro plus die Umsatzsteuer - zu zahlen bis zum 30. Mai 2009. Im Schreiben wird außerdem betont, dass Webel auch in Zukunft sein Optionsrecht auf weitere Planungsleistungen ausüben will. Auch hier wird unterstrichen, dass notfalls der Rechtsweg beschritten werde.

Der Stadtrat lässt die Frist verstreichen, ohne zu zahlen. Doch der Druck bleibt nicht ohne Wirkung. In aller Dringlichkeit wird in Gröbzig eine Stadtratssitzung einberufen. Das Thema - Erteilung einer Vollmacht zur Führung eines Rechtsstreits - wird nichtöffentlich behandelt. Nach MZ-Informationen stimmt eine große Mehrheit der Stadträte dafür, eine solche Vollmacht zu erteilen.

Darüber, ob es nun zu einem Prozess oder einem Vergleich kommt, kann vorerst nur spekuliert werden. Die MZ rief Webel und seinen Anwalt an, erhielt von ihnen jedoch keine Informationen zum Rechtsstreit. Bei der Kommunalaufsicht Anhalt-Bitterfeld gab es unter Hinweis auf ein laufendes Verfahren ebenfalls keinen Kommentar zum Sachverhalt.

Meinung eines Experten

Ist es rechtens, dass sich eine Kommune vertraglich unbefristet an einen Planer bindet? Gilt so ein Vertrag, auch wenn der Architekt später Bürgermeister wird? Die MZ fragte dazu den ehemaligen Richter am Landesverfassungsgericht, Prof. Dr. Michael Kilian vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Umweltrecht, Völker- und Europarecht der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Eine Gemeinde könne grundsätzlich langjährige Verträge schließen - unter der Voraussetzung, dass der ursprüngliche Sanierungsauftrag ausgeschrieben worden war, meinte der Jurist. Die Verträge gelten, solange sie bestehen. "Wird der Vertragsnehmer zum ehrenamtlichen Bürgermeister bestellt, so liegt eine Unvereinbarkeit von Amt und Auftrag vor (Pflichten- und Interessenüberschneidung), die zur Beendigung des Vertragsverhältnisses aus wichtigem Grund führt", so der Professor weiter unter Hinweis auf den Paragraphen 69 in Verbindung mit den Paragraphen 30 und 31 der Gemeindeordnung von Sachen-Anhalt.