Wirtschaft Wirtschaft: Unter Strom

köthen/MZ - Auch das noch. Enrico Marschall zieht die Augenbrauen hoch, als er hört, dass die Maschine, auf der Wellrohre hergestellt werden, nicht arbeitet. Es ist Samstagmorgen, kurz vor 9 Uhr. Im Kesselbau Köthen läuft die Frühschicht. Die erste Schicht, nachdem man am Freitag, ziemlich genau 24 Stunden zuvor, wegen eines langanhaltenden Stromausfalls zur Untätigkeit verdammt war. Da braucht der Fertigungsleiter nicht noch eine weitere Baustelle. Marschall klemmt sich ans Handy. Die Maschine muss einfach wieder ins Laufen kommen.
Immerhin: In dem Traditionsbetrieb am Rande der Stadt hat man gut zu tun. So gut, dass Havarien wie am Freitag schon schmerzen. „Wir haben so an die anderthalb Schichten verloren“, sagt Marschall. Die Stunden habe er noch nicht berechnet, „und das wäre ja auch nur die reine Fertigung.“ In der Verwaltung sei aber ebenso Zeit verloren gegangen, in der Konstruktion, im Einkauf.
In der Fertigung freilich ziehen solche Unerfreulichkeiten längere organisatorische Überlegungen nach sich. Derzeit arbeite man in drei Schichten, so Marschall, „da kann man nicht einfach an eine Schicht ein paar Überstunden dranhängen, da stehen dann zu viele Leute am Kessel.“ Also wird Marschall gemeinsam mit Meister und Vorarbeitern organisieren, wie der Zeitverlust kompensiert werden kann.
„Wie eine Familie“
Das Gute daran: Im Kesselbau Köthen ist das nach Marschall kein Problem „Die Leute stehen dahinter“, sagt der Mann , der im Dezember 2011 vom Dampfkesselbau Meerane nach Köthen wechselte und festgestellt hat: „Das ist schon wie eine Familie hier.“ Als am Freitag die Spätschicht kam, die dann wieder nach Hause geschickt werden musste, „da hieß es: Da müssen wir eben ein paar Stunden dranhängen oder Sonnabend arbeiten“, erinnert sich Marschall an das Ende einer langen Warterei.
Die die Nerven beanspruchte. In gewisser Weise hatte man im Kesselbau sogar noch Glück, als am Freitag um 8.55 Uhr der Saft plötzlich weg blieb: Einen der schweren Kessel, der fertig war für den Versand, hatte man gerade aus der Halle geschafft. „Das wäre nicht so gut gewesen, wenn der plötzlich am Kran festgehangen hätte.“ Als der Schalter gefallen war, „wartet man eine Weile, um zu sehen, versucht rauszukriegen, ob das ein interner Fehler ist, ob andere Betriebe in der Nähe betroffen sind.“ Letztlich habe man beim Netzbetreiber angerufen, „um ein paar Informationen über die Lage zu bekommen“, sagt Enrico Marschall, der mit der Kommunikation nicht zufrieden ist.
Notstromaggregat nützt nichts
Gegen 10.30 Uhr war immer noch kein Strom da, da habe man die Schicht nach Hause geschickt und danach im Zwei-Stunden-Takt angerufen, ob bald mit Strom zu rechnen ist. Klar: Einem Unternehmen wie Kesselbau, das jede Menge Strom zieht, nützt ein Notstromaggregat gar nichts. Um 13.45 Uhr stand die Spätschicht Gewehr bei Fuß, aber noch drehte sich kein Rad, und auch eine halbwegs definitive Aussage, wann denn wieder Energie anliegen würde, bekam Marschall nicht.
Die letzte Botschaft erhielt er, als er über eine Hotline Kontakt bekam. „Da hieß es, dass man mich zurückrufen werde“, sagt Marschall: „Auf den Anruf warte ich noch immer.“
Was ihn richtig ärgert: Denn um 15.30 Uhr entschied er, die Leute nach Hause zu schicken, wenn bis 16 Uhr kein Strom anliegen würde. So geschah es denn auch - „und 16.15 Uhr war der Strom wieder da.“ Da aber waren die Hallen wieder menschenleer - und man hätte doch noch ein paar Stunden mit voller Kapelle arbeiten können. Und es sei nicht einfach so, dass man die Produktion stoppen und dann wieder sofort loslegen könne, sagt Marschall. Der Durchlauf der Fertigung, das Zusammenspiel der einzelnen Maschinen wird unterbrochen und muss erst wieder angefahren werden. Kesselbau ist immerhin ein Unternehmen, in dem der größte Teil der benötigten Teile in Eigenproduktion hergestellt wird: Bibeldicke Bleche werden zu Druckkörpern gerundet und verschweißt, Wellrohre werden selbst hergestellt und anderes mehr. „Das Unternehmen heißt zwar Standardkessel“, sagt Enrico Marschall, „aber in der Regel wird hier alles sehr individuell hergestellt.“
Und pünktlich: Genau deshalb kommen solche Ausfälle so ungelegen. Man habe zwar einen Puffer für die Produktion, aber übermäßig groß sei der nicht, sagt der Fertigungsleiter. Am Montag werden Kessel für Pforzheim verladen, auch einige Kessel für ausländische Kunden müssen zum Termin fertig werden. „Das betrifft ja nicht nur uns, auch die Nachfolgegewerke sind ja auf Termine eingetaktet.“ Kräne und Montagemannschaften am Zielort der Kessel kosten auch dann Geld, wenn sie warten müssen - also lässt man sie besser nicht warten.
Auch Ralf Schumann, der Mann an der Wellrohrmaschine, muss nicht warten. Das Teil springt von selbst wieder an. Auf so viel Glück freilich mag Marschall nicht dauerhaft vertrauen. Der Techniker, den er angerufen hat, soll sich die Maschine sicherheitshalber doch mal ansehen. Als er um die Ecke biegt, steht dessen Auto auch schon vor der Halle. Und Marschall gönnt sich ein zufriedenes Lächeln: Die Leute hier, wiederholt er, stehen eben dahinter.

