Retter retten sich selbst Retter retten sich selbst: Warum Feuerwehr Aken einen DDR-Kultlastwagen aufmöbeln muss

Aken - Mit einem W50 hatte Heinz Schneider nicht mehr gerechnet. Seit 1975 ist der Kfz-Schlosser bei der Feuerwehr - erst bei einem Betrieb, heute bei den freiwilligen Kameraden in Aken (Anhalt-Bitterfeld). Lange war er Gerätewart und hat viele Fahrzeuge unter seinem Schraubenschlüssel gehabt. „Darunter waren natürlich auch W-50-Feuerwehren“, sagt der 65-Jährige mit dem Vollbart. Die letzte sei allerdings um 2000 abgegeben worden. „Damals dachte ich, dass sich dieses Kapitel erledigt hat.“
Doch es kam anders: Denn seit Weihnachten schraubt Heinz Schneider fast täglich mehrere Stunden mit seinen Kollegen an einer W-50-Feuerwehr. Der DDR-Kultlastwagen, der sogar auf der Rückseite des Fünf-Mark-Scheins abgebildet war, ist in die Fahrzeughalle nach Aken zurückgekehrt.
Jedoch braucht die Legende auf vier Rädern derzeit viel Zuwendung: rostige Ventile ersetzen, fehlende Sitzlehnen einbauen, den abgeplatzten Lack erneuern - das waren die Aufgaben in den vergangenen Wochen. Gerade baut Schneider die Halterung für einen mobilen Feuerlöscher ein. „Ich mag den W50 zwar“, meint er. „Aber die Umstände, unter denen wir ihn bekommen haben, sind natürlich weniger erfreulich.“
Fahrzeug der Feuerwehr Aken erlitt bei Kollision einen Totalschaden
Als der Gerätewart das sagt, nickt Michael Kiel zustimmend. Der Stadtwehrleiter schaut seinem Gerätewart zu. Für Kiel verbinden sich mit dem W50 auch die Sorgen der vergangenen Monate. „Das Fahrzeug ist unsere letzte Rettung“, sagt der 39-Jährige. Denn derzeit muss die Feuerwehr ohne ein geländegängiges Fahrzeug auskommen. „Und das, obwohl wir auch im Katastrophenschutz eingesetzt werden und die Elbe nah ist.“
Beim Hochwasser 2013 war ein Wagen für unwegsames Gelände unerlässlich. „Derzeit wären wir da aufgeschmissen“, sagt Kiel. Für Einsätze auf Straßen haben die Akener aber noch weitere Fahrzeuge.
Die Hilflosigkeit der Helfer im Gelände ist die Folge eines Unfalls im Sommer 2018. Damals wurden die Kameraden zu den Deichbauarbeiten an die Elbe gerufen. „Dort brannte eine Maschine“, erzählt Kiel. Auf dem Weg zur Einsatzstelle kommt dem Löschtrupp eine Lkw-Kolonne entgegen.
„Wir hatten Blaulicht an und die Lastwagen wurden langsamer.“ Doch plötzlich schert der hintere Brummi-Fahrer aus - wahrscheinlich um zu schauen, weswegen seine Kollegen auf die Bremse treten. „Wir hatten keinen andere Möglichkeit, als auszuweichen - sonst wäre es zu einem Frontalcrash gekommen.“ Doch neben der Fahrbahn ist ein Graben. Das Feuerwehrauto fährt hinein und kippt zur Seite. Vier Kameraden werden verletzt, zum Glück nur leicht. Das Löschfahrzeug aber hat einen Totalschaden.
Nach Unfall reicht Versicherungssumme nicht für neues Löschfahrzeug
„Wir waren froh, dass es noch glimpflich ausgegangen ist“, sagt Wehrleiter Kiel. Und anfangs seien sie auch noch optimistisch gewesen, dass schnell ein Ersatzfahrzeug beschafft werden kann. „Als Feuerwehr sind wir es gewohnt zu helfen, wenn Hilfe benötigt wird“, sagt Michael Kiel. „Das ist unser Selbstverständnis, und wir gingen davon aus, dass das auch bei anderen so ist.“ Doch statt der großen Hilfe beginnt das große Schulterzucken. Der Lkw-Fahrer, der den Unfall verursachte, kann nie ermittelt werden.
Die Versicherung zahlt zwar für das schrottreife Löschfahrzeug, doch die Summe reicht für einen Neuanschaffung nicht aus. Und Geld übrig haben weder der Kreis Anhalt-Bitterfeld, dem der kaputte Wagen gehörte, noch die Stadt Aken. Auch das Land kann nicht einspringen, weil es Feuerwehren nur über Fördergelder unterstützt.
Und die Mittel für 2019 konnten Mitte 2018, als der Unfall passierte, schon nicht mehr beantragt werden. Auch ein Ersatzauto gab es nicht. „Man hat das Gefühl, dass niemand sich je darüber Gedanken gemacht hat, dass eine Feuerwehr auch mal kaputt gehen kann“, meint Michael Kiel.
Feuerwehr Aken ohne Löschfahrzeug: Stadt und Landkreis fehlt Geld für eine schnelle Lösung
Die Lage ist verzwickt: Stadt und Landkreis müssen zwar für die Ausrüstung der Feuerwehr sorgen. Doch für eine schnelle Lösung fehlt das Geld - immerhin kostet ein neues Löschfahrzeug um die 350 000 Euro. Das ist nur mit Fördermittel zu stemmen, die auch für 2020 beantragt werden sollen.
„Doch bis es da einen Bescheid gibt, das Fahrzeug ausgeschrieben und gebaut ist, vergehen locker drei bis vier Jahre“, prognostiziert Kiel. Der Wehrleiter ist enttäuscht - nicht nur wegen der Wartezeit. „Wir als Feuerwehr werden in keiner Weise eingebunden oder über den Sachstand informiert“, sagt Kiel. Wertschätzung sehe anders aus.
Doch was tun? Die Kameraden in Aken beginnen zu diskutieren. Viele wollen die Sache selbst in die Hand nehmen. Doch es gibt auch Gegenstimmen. „Einige haben gesagt: Wir machen das hier im Ehrenamt, riskieren mitunter unser Leben und sollen jetzt auch noch die Ausrüstung finanzieren - das ist das falsche Signal“, erzählt Wehrleiter Kiel. „Und eigentlich haben sie damit ja Recht.“ Auf der anderen Seite sei die Beschaffung in Eigenregie der einzige Weg, um das Selbstverständnis der Feuerwehrleute aufrecht zu erhalten: Helfen, wenn Hilfe benötigt wird.
„Was wir gemacht haben, darf nicht zum Modell werden, es muss die Ausnahme bleiben.“
Die Kameraden wählen einen Zwischenweg. Sie stellen eine Sammelbüchse auf, in die jeder spenden kann. Nach vier Wochen haben sie 1 060 Euro zusammen. „Das war genug Geld, um auf die Suche zu gehen“, sagt der Wehrleiter. Neue Fahrzeuge kommen bei diesem Budget nicht in Frage. Kiel konzentriert sich deswegen auf den W 50. Der Lastwagen wurde in zig Versionen gebaut, vom Muldenkipper über Drehkran bis hin zu Laborwagen oder Müllfahrzeug. Alle Modelle einte dabei ihre Robustheit und Langlebigkeit - genau, was die Akener brauchen.
Kiel sucht, telefoniert und findet schließlich ein ausrangiertes Fahrzeug im brandenburgischen Ketzin an der Havel. „Die Kameraden dort waren gleich sehr positiv und wollten helfen.“ Auch der Stadtrat stimmt recht schnell dem Verkauf des Oldtimers, Baujahr 1990, zu - zum Spottpreis von um die 1.000 Euro.
Allerdings: Die neue alte Feuerwehr ist stark reparaturbedürftig. Das fängt bei defekten Scheibenwischern an und endet beim Anlasser, dem man ab und an mit einem Hammerschlag auf die Sprünge helfen muss. „Unser Glück ist, dass wir noch recht viele Mitglieder haben“, sagt Kiel. Mehr als 60 Leute gehören in Aken zum Team - darunter Kfz-Mechaniker, Schlosser, Elektriker und W-50-Fachmann Heinz Schneider. Für jedes Problem finden sich ein paar Hände, die es lösen können. Und so wird die Not durch Ehrgeiz und einen Teamgeist beseitigt.
Anfang Februar soll der W 50 fertig sein. Es passt zwar deutlich weniger Ausrüstung als in das alte Löschfahrzeug. „Aber wir können zumindest Menschen und Wasser in schwieriges Terrain bringen“, sagt Michael Kiel. Auf ihren Einsatz in eigener Sache ist der Wehrleiter durchaus stolz, doch er mahnt auch: „Was wir gemacht haben, darf nicht zum Modell werden, es muss die Ausnahme bleiben.“
W50 ist Mythos auf vier Rädern
Der Name des W50 ist eigentlich irreführend. Denn das „W“ im Kürzel des Lastwagens steht für „Werdau“. Allerdings wurden die 500.000 Exemplare des Multifunktions-Fahrzeugs nicht in der sächsischen Stadt gebaut, sondern im brandenburgischen Ludwigsfelde. „Die Erklärung ist“, sagt Gerald Fritzsche, „dass der W50 in Werdau konstruiert, in Ludwigsfelde dann jedoch produziert wurde“.
Die 50 steht für die Nutzlast - 50 Dezitonnen oder einfacher: fünf Tonnen. Fritzsche ist Experte, wenn es um den W50 und andere Fabrikate des Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) geht. In Ludwigsfelde betreibt er den letzten IFA-Ersatzteil-Shop. Täglich verschickt er weltweit Waren. Denn der „W 50“ war ein echter Exportschlager. Noch heute tut er auch in Vietnam, Nicaragua und vielen afrikanischen Staaten seinen Dienst.
„Die Beliebtheit des W50 hat damit zu tun, dass er extrem einfach zu reparieren ist“, sagt Fritzsche. Technischer Schnickschnack wurde weggelassen. Das Reparaturhandbuch ist auch als Bilderbuch erhältlich - damit jeder selbst Hand anlegen kann. „Hinzu kommt“, so Fritzsche. „dass ihm in Sachen Geländegängigkeit keiner was vormacht.“ Selbst steilste Stücke auf rauer Strecke komme der W50 mit seinen 125 PS hoch. Diese einfache Robustheit mache den ihn zum Mythos auf vier Rädern. (mz)

