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Raubüberfälle  Raubüberfälle : War Angeklagter voll zurechnungsfähig?

Von Thomas Steinberg 26.07.2016, 15:18
Das Landgericht in Dessau-​Roßlau in der Willy-​Lohmann-​Straße
Das Landgericht in Dessau-​Roßlau in der Willy-​Lohmann-​Straße dpa/Archiv

Köthen/Dessau - Irgendwann im Laufe der Monate war Mitleid in ihm aufgekommen für den Mann, den zu stellen er geholfen hatte. Nun, da er vor dem Landgericht Dessau aussagen musste, wie die Rentnerin in Köthen beraubt worden war, hatte er eine Schachtel Zigaretten für Ivica S. (alle Namen geändert) dabei. Ob er die dem Angeklagten geben dürfe? Nein, ließen die Wachtmeister wissen, das sei verboten.

Dass ein Zeuge einem Angeklagten etwas schenken will, der vor einigen Monaten noch ein Messer auf ihn gerichtet hatte, kommt wohl eher selten vor. Und auch sonst hielt die Verhandlung am Dienstag gegen S., dem mehrere Raubüberfälle und ein versuchter Einbruch in Köthen vorgeworfen werden, einige Überraschungen parat.

Seniorinnen die Handtasche gestohlen

So etwa in Gestalt seines mutmaßlich ersten Opfers, einer 80-jährigen Dame. Sie wirkte nicht im mindestens eingeschüchtert, schilderte den Überfall so undramatisch wie den Kauf einer neuen Bluse und konnte die Geschehnisse plastischer und präziser darstellen, als viele andere Zeugen. Der Angeklagte S. soll ihr an der Bärteichpromenade in Köthen die Handtasche entrissen haben und auf einem Rad geflüchtet sein. Aber war der Räuber wirklich S.? Doris M. vermag es nicht eindeutig zu sagen: „Ich hab’ nichts gesehen, er war schwarz gekleidet.“

Auch Gerda H. ist mit ihren 88 Jahren ungemein aufgeweckt. Sie benötigt einen Rollator, um voranzukommen, und hat in dessen Korb üblicherweise ihre Tasche abgelegt - auch als sie im August zum Arzt unterwegs war. Blitzschnell habe sich der Täter ihr genähert und zugegriffen, sie habe geschimpft: „So wohl nicht!“ Er sei weggerannt. „Der hat gemerkt, ich bin energisch“. Die Tasche allerdings war erst einmal fort, auch wenn sie ein paar Tage später wieder auftauchte, ohne Geld allerdings.

Zeuge verfolgte Räuber mit dem Auto

Dass S. bei seinem laut Anklage dritten Raub in Köthen gestellt werden konnte, ist der Courage zweier Männer zu danken. Einer davon ist Siegfried P., der Mann mit der Zigarettenschachtel für den Angeklagten. S. soll zwischen dem Penny-Markt in der Rüsternbreite und der Sparkasse an der HG-Halle wieder eine Rentnerin überfallen haben und sprintete davon. P. verfolgte ihn mit dem Auto, rief: „Halt, Polizei!“

Ein zweiter Autofahrer kam zur Hilfe, gemeinsam konnten sie S. stoppen, der plötzlich ein Messer zog, aber nicht ernsthaft damit drohte und dann brav mit den beiden Männern mittrottete. Als die Polizei kam, fragte S. was man von ihm wolle, es sei nichts passiert, alles sei gut.

Zuletzt in Gartensparte erwischt

Das hatte er schon einige Monate zuvor erzählt. Im Juni bemerkte Sybille W. einen Mann, der sich an der Tür zu einer Gartenlaube zu schaffen machte. Als Vorstandsmitglied der Kleingartensparte ist sie Kummer mit Einbrüchen gewöhnt und wusste: Der Typ gehört nicht hierher. Auch sie rief ihm ein „Halt, Polizei“ zu. S. reagierte tatsächlich, kam zum Zaun, sprang über diesen und gab brav seinen Ausweis, als W. diesen verlangte. Er habe nach einer Helga gesucht, behauptete S. ihr und den hinzugezogenen Polizisten gegenüber.

Bislang ist unklar, ob S. bei den Taten voll zurechnungsfähig war – diese Frage soll ein Psychiater beantworten.

Die Verhandlung wird am 8. August fortgesetzt.

(mz)