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Radikal abgenommen Radikal abgenommen: Mutter und Sohn aus Köthen gingen gemeinsam durch dick und dünn

Von Oliver Müller-Lorey 14.02.2017, 11:07
Mutter und Sohn stärken sich ge­gen­sei­tig den Rücken. Nach der Operation begann für sie ein völlig neues Leben. Während die beiden früher Unmengen an Nudeln aßen, müssen sie nun genau auf ihre Ernährung achten.
Mutter und Sohn stärken sich ge­gen­sei­tig den Rücken. Nach der Operation begann für sie ein völlig neues Leben. Während die beiden früher Unmengen an Nudeln aßen, müssen sie nun genau auf ihre Ernährung achten. Heiko Rebsch

Köthen - Eines Tages drehte sich ein wildfremder Mann auf der Straße nach ihr um und schrie Anja Meinhardt hinterher: „Du fettes Schwein!“ Es war die Zeit, in der die Köthenerin ihren Tiefpunkt erreicht hatte. 146,7 Kilogramm brachte sie auf die Waage. Schlafen konnte sie nur noch im Sitzen, weil das Fett ihre Lunge im Liegen zusammengedrückt hätte. Unwürdig war ihr Leben, traurig und einsam.

Ihrem Sohn Kevin Meinhardt erging es kaum anders. Wenn er auf seine Spezialwaage stieg, drehte sich der Zeiger erbarmungslos weiter, und blieb erst bei 212 stehen. „Ärzte haben mir gesagt, dass ich mit 30 Jahren sterben werde“, sagt der heute 25-Jährige. Zwei Leben, die unter der Last der Körper drohten, zerdrückt zu werden.

Doch es kam alles anders. Vor anderthalb Jahren ließ sich Anja Meinhardt den Magen operativ verkleinern, ein halbes Jahr später folgte ihr Sohn. Zusammen nahmen die beiden bis heute mehr als 150 Kilo ab. Heute wiegt Anja Meinhardt knappe 80 Kilogramm, Kevin immerhin nur noch 129. „Kritiker sagen, das war ja ein einfacher Weg, aber das stimmt nicht“, erzählt der Köthener. Der Weg, der die Familie buchstäblich durch dick und dünn führte, war anstrengend.

Alles begann mit der Angst aus dem Haus zu gehen

Alles beginnt im Jahr 2013 - einer dunklen Zeit. Aus Scham geht Anja Meinhardt kaum mehr aus dem Haus. „Meine Freunde haben gesagt, ,Du siehst traurig aus!’“, erinnert sie sich.

Kleidung in ihrer Größe findet sie in einer Stadt wie Köthen schon lange nicht mehr und selbst wenn, fühlt sie sich in der Umkleidekabine unwohl, denkt, dass alle sie anstarren, was oft stimmt. Sie und Kevin Meinhardt kaufen die Kleidung zu hohen Preisen im Internet.

Kevins Hosengröße: 6XL. „Die Klamotten sind auch unheimlich teuer. 100 Euro für eine Jeans sind normal“, sagt der Köthener, der sich zu jener Zeit selbst von Ärzten abschätzige Sprüche gefallen lassen muss. Seitdem er in der vierten Klasse wegen schlechter Schulnoten aus dem Schwimmverein ausgetreten war, stieg sein Gewicht kontinuierlich an.

Bei Anja Meinhardt waren der Tod ihrer Mutter und der Verlust der Arbeit Auslöser für die hohe Gewichtszunahme, die sich auch durch Dutzende Diäten nicht bremsen ließ. Die beiden essen ohne Sättigungsgefühl. Ein halbes Kilo Nudeln am Abend sind keine Seltenheit.

Uniklinikum Leipzig: Magenverkleinerung als letzte Lösung

Beide entschieden: So kann es nicht weitergehen - und werden auf die Uniklinik in Leipzig aufmerksam, die sich auf dicke Patienten spezialisiert hat. Der Plan der Meinhardts: Eine Magenverkleinerung soll den Erfolg bringen.

„Wir haben das gemacht, um unsere Leben zu retten“, sagt die 44-Jährige. Doch die Operation ist nur der letzte Schritt einer langen Vorbereitung. Ein Jahr lang müssen Anja und Kevin Meinhardt ein Ernährungstagebuch führen und sich an Diätpläne halten, die in der Leipziger Uniklinik für sie erarbeitet werden.

Alle zwei Monate müssen sie ihr Blut untersuchen lassen, zweimal in der Woche zum Sport gehen. Wer nicht mitzieht, hat kaum eine Chance, dass die Krankenkasse die teure Operation bezahlt.

Obwohl Kevin Meinhardt einen eisernen Willen hat, lehnt die Krankenkasse die Kostenübernahme zunächst ab. Ihr Argument: 212 Kilogramm Körpergewicht seien noch nicht lebensbedrohlich. Für Kevin Meinhardt, der unter seinem Gewicht leidet, klingt das wie ein schlechter Scherz. Erst im zweiten Versuch hat die Krankenkasse ein Einsehen und genehmigt die Kostenübernahme für seine OP.

Einige Wochen vor der Operation wird der Ernährungsplan noch strenger: Die beiden dürfen nur geschmacklose Eiweiß-Shakes trinken und kein Salz mehr zu sich nehmen.

Eine getoastete Scheibe Vollkornbrot ist Anja Meinhardts kulinarischer Höhepunkt des Tages. Dann endlich, im August 2015 entfernen die Ärzte zwei Drittel von Anja Meinhardts Magen. Im Januar 2016 unterzieht sich ihr Sohn der gleichen Operation.

Disziplin bei der Ernährung ist auch nach der OP wichtig

Auch danach müssen sie streng auf ihre Ernährung achten. Speisen und Getränke dürfen sie nicht gleichzeitig einnehmen und am besten nur mit einem kleinen Teelöffel.

„Mittlerweile bin ich nach drei Gabeln Nudeln schon satt“, sagt Kevin Meinhardt. Weil er sich um das Catering beim Kukakö kümmert, und massenweise Essen zubereitet, verschätzt er sich häufig beim Kochen zu Hause. Wenn sich Mutter und Sohn ein Gericht im Restaurant bestellen, ist das meistens schon zu viel.

Mit dem neuen Körperumfang kommt auch das Selbstbewusstsein zurück

Mit dem Körperumfang ändert sich für die beiden auch das Leben abseits vom Essen schlagartig. „Ich habe wieder viel mehr Selbstbewusstsein“, sagt Anja Meinhardt. Kevin will sich bald im Fitness-Studio anmelden oder wieder mit dem Schwimmen beginnen.

Inzwischen hat der 25-Jährige eine Ausbildung zum Fleischereifachverkäufer in Köthen begonnen. Ob er da nicht manchmal in Verlegenheit kommt, zu naschen? „Nö, ich habe doch gar nicht so viel Hunger auf Wurst!“ (mz)

So sah Anja Meinhardt vor ihrer Operation aus. Un­zu­frie­den, verzwei­felt und krank.
So sah Anja Meinhardt vor ihrer Operation aus. Un­zu­frie­den, verzwei­felt und krank.
Meinhardt
So sah Kevin Meinhardt vor seiner Operation aus. Er wog 212 Kilogramm.
So sah Kevin Meinhardt vor seiner Operation aus. Er wog 212 Kilogramm.
Meinhardt