Pilkington in Aken Pilkington in Aken: Die Scheiben-Meisterin

Aken - Nadine Schmid hat berufsbedingt ein gestörtes Verhältnis zu Schmutz. Da genügen kleinste Partikel, die man mit bloßem Auge gar nicht wahrnimmt, um die junge Frau aus der Fassung zu bringen. Die haben in ihrer Abteilung nämlich nichts zu suchen. Und würden auf den blank polierten Autoscheiben womöglich noch Kratzer verursachen, die letztlich dafür sorgen, dass das Produkt durch die Endkontrolle fällt.
Hier hat Nadine Schmid das Sagen. Sie ist die Teamleiterin. Eine junge Frau von 40, die bei Pilkington in Aken im November 1998 als Leiharbeiterin angefangen und heute ihren Meisterbrief in der Tasche hat. Es erweckt den Anschein, als müsste sie sich selbst ab und an kneifen, um zu begreifen, welche Wegstrecke sie hinter sich gebracht hat. Werkleiter Timo Greiffendorf jedenfalls ist stolz, jetzt auch eine Industriemeisterin Glastechnik zu beschäftigen. Eine Exotin gewissermaßen. Bei der Meisterschule war sie die einzige Frau unter 28 Männern. Ein ungewohntes Gefühl - ja, zumal sie mit ihren beiden Akener Kollegen auch noch zu den ältesten Schülern gehörte, aber unangenehm - nein.
Die Produktion der Autoscheiben bei Pilkington erfolgt in fünf verschiedenen Teams: Es geht los mit der Schneidanlage, gefolgt vom Biegeofen, dann durchläuft die Scheibe den Wickel- und Klimaraum, weiter geht es mit dem Verbund bis zur Endkontrolle, dem größten Team.
Da die Autoscheiben immer komplexer werden, braucht es viele Mitarbeiter, die das Produkt kontrollieren. Bis zu 1 200 Scheiben am Tag durchlaufen die Endkontrolle.
Gemeinsam mit Nadine Schmid haben auch Daniel Hinze und Jan Schneider erfolgreich ihre Prüfung zum Industriemeister Glastechnik absolviert. (her)
Als sie 1998 erfährt, dass man in Aken bei Pilkington Leiharbeiter sucht, bewirbt sie sich. Damals ist sie immer noch der Auffassung, im Bäckerhandwerk eigentlich ihren Traumjob gefunden zu haben. Am letzten Tag der Lehre bekommt sie ihr Kind, ist danach zwei Jahre zu Hause, aber die Arbeitszeiten eines Bäckers, merkt sie schnell, lassen sich schlecht mit den Herausforderungen einer jungen Mutter in Einklang bringen.
„Es hatte sich rumgesprochen, dass das Flachglaswerk Leute sucht.“ Früher Flachglaswerk, heute Pilkington Automotive Deutschland. Über einen Personaldienstleister kommt sie an den Job und wird Leiharbeiterin. „Ich hatte keine Ahnung, was hier passiert und was ich hier machen würde.“
Dass man hier Autoscheiben produziert, wusste sie. Aber das war’s dann auch schon. Trotzdem fällt der Einstieg leicht. „Ich kannte viele Leute vom Sehen.“ Ein Problem gibt es dennoch: „Ich hatte noch nie einen Lötkolben in der Hand“, lacht sie. Und im so genannten Vorverbund würde sie vor allem Heizfelder aus ganz feinen Drähten, „so dünn wie ein Haar“, wickeln müssen - und jede Menge löten. Zu Hause, erzählt sie, würde sie ihrem Mann nie das Werkzeug aus der Hand nehmen, hier muss sie damit arbeiten. Und es macht ihr immer mehr Spaß. Nach der ersten Woche zweifelt sie noch, ob das das Richtige für sie sei. Es ist das Richtige.
Nadine Schmid ist damals eine von 40, vielleicht sogar 50 Leiharbeitern, darunter viele Frauen. Deshalb versteht sie auch gar nicht, warum sie in der Meisterausbildung die einzige gewesen ist. „Eigentlich ist das der perfekte Job für Frauen“, findet sie. Weil man ungemein viel Fingerspitzengefühl bräuchte. Und man muss den Überblick behalten: Im Akener Pilkington-Werk werden 1 035 Scheibentypen in verschiedenen Varianten verarbeitet.
Im April 1999 übernimmt der Betrieb die gelernte Bäckerin und fragt sie 2007, ob sie Vorarbeiterin werden will. Sie macht es. „Hier werden immer gute Leute gesucht, die Verantwortung übernehmen“, hat sie erfahren und wechselt nur ein Jahr später aus dem so genannten Vorverbund in die Endkontrolle. „Ich hatte noch nie Angst vor Herausforderungen“, schätzt sie sich ein. Und sie sagt nie, dass es gut ist, wenn es nicht gut ist. Das scheint man an der selbstbewussten Quereinsteigerin zu mögen und macht sie noch vor Weihnachten 2008 zur Teamleiterin in der Endkontrolle.
2003 dann der nächste Schritt. Sie wird gefragt, ob sie die Meisterschule machen will. „Mich hat vor allem die Chance gereizt, Ausbilder zu sein, mit jungen Leuten zu arbeiten.“ Das findet sie spannend - und sagt zu. Sie hätte nie gedacht, dass sie in ihrem Alter, betont sie, noch mal die Schulbank drücken, sich mit Kosten- und Leistungsrechnung, Rechtsfragen und Naturwissenschaften befassen würde. Sie zieht es durch. Sie schafft es. Und ist stolz auf sich selbst. „Die Endkontrolle“, betont sie, „ist ein tolles Team.“ Und ohne ihre Chefs und ihre Familie hätte sie diesen Weg sicher nie eingeschlagen. (mz)
