Mobbing an Köthener Schule Mobbing an Köthener Schule: Beschimpft und geschlagen

Reppichau/Köthen/MZ - Seit dem zweiten Schulhalbjahr hat das Ludwigsgymnasium in Köthen einen Schüler weniger. Er heißt Valentin und geht in die 6. Klasse, allerdings nicht mehr in der Köthener Wallstraße. „Mein Sohn wäre dort kaputt gegangen“, begründet Silvana Richter, warum Valentin seit dem 26. Februar nicht mehr den kostenlosen Schulbus nach Köthen nimmt, sondern auf Kosten der Eltern von seinem Wohnort Reppichau aus ins Dessauer Gymnasium Philanthropinum fährt.
Sohn wird immer stiller
Schon in der 5. Klasse war Silvana Richter und ihrem Mann Jens aufgefallen, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt. Er habe in der Grundschule Top-Noten gehabt und sei deshalb aufs Ludwigsgymnasium gewechselt. Der Junge sei immer schon etwas zurückhaltend und sensibel gewesen, aber doch ein aufgeschlossenes Kerlchen. Nun aber wurde Valentin immer stiller, erzählte kaum noch etwas aus der Schule, seine Leistungen sackten ab.
Schüler, die psychologische Hilfe benötigen, können von Lehrern beim Schulpsychologen angemeldet werden. Voraussetzung ist das Einverständnis der Eltern.
Eltern können sich unter 0340/6 50 64 44 auch selbst an einen Schulpsychologen wenden. In Anhalt-Bitterfeld sind außer Sabine Möley (unter anderem zuständig für Bitterfeld-Wolfen) die Diplom-Psychologen Maren Wagner (zuständig für den Raum Köthen) und Gerhard Niemann (zuständig für Dessau-Roßlau und Zerbst) tätig. In Abhängigkeit vom Einzelfall beträgt die Wartezeit bis zu zwei Monaten. (cb)
Ein Mädchen aus dem Dorf berichtete im Sommer 2013 den Eltern schließlich, Valentin werde in der Schule gehänselt und aufs Übelste beschimpft. „Er hat das alles für sich behalten“, sagt Silvana Richter leise, die wie ihr Mann im Klinikum in Dessau arbeitet.
Behutsam erkundigten sich die Eltern bei ihrem Sohn nach den Vorfällen. Da brach es aus ihm heraus. Die Tränen kullerten, als er davon erzählte, wie ihn Mitschüler bei einem Projekttag im Schwimmbad unter Wasser drückten, sich einer auf seine Schultern stellte und wie er Todesängste ausstand. „Es waren an diesem Tag sehr viele Gymnasiasten im Schwimmbad, da haben die Lehrer wahrscheinlich den Überblick verloren, mutmaßt seine Mutter, warum kein Pädagoge eingegriffen hat.
Von nun an Mobbingopfer
Die Eltern waren über den Bericht ihres Sohnes zutiefst erschrocken, sprachen mit seiner Klassenlehrerin und mit dem Schulleiter des Ludwigsgymnasiums, Hans-Joachim Knebel. Die Klassenlehrerin schlug Silvana Richter vor, die Probleme ihres Sohnes auf einem Elternabend anzusprechen.
„Ab diesem Elternabend war mein Sohn Mobbingopfer“, beschreibt Richter, dass alles nur noch schlimmer wurde. Bei einer Theaterfahrt habe es die Peiniger ihres Sohnes nicht einmal gestört, dass sie selbst mit dabei war. „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es sind drei bis vier Jungen, die die ganze Klasse aufmischen“, erinnert sich die Mutter, die schon in der Grundschule oft an Schulfahrten ihres Sohnes teilgenommen hatte.
Wieder suchte sie das Gespräch mit der Klassenlehrerin, doch auf ihren Vorschlag, einen Elternabend zum Thema „Verhinderung von Mobbing“ zu organisieren, wie ihn zum Beispiel Krankenkassen anbieten, habe es keine Reaktion gegeben.
Angst um den Sohn
In der 6. Klasse wurde Valentins Situation immer bedrohlicher. Jeden Tag Beschimpfungen, oft auch Prügel. Morgens vor der Schule bekam er Angstzustände, hat häufig erbrochen. In drei Wochen habe der Junge vier Kilo abgenommen und schließlich nur noch 36 Kilogramm gewogen, berichtet die Mutter, die nun große Angst um ihren Sohn bekam. Sie schrieb ans Jugendamt - ohne Reaktion, dann ans Landesschulamt und ans Kultusministerium.
Und sie ging mit Valentin zu einer Kinderärztin. Die diagnostizierte bei Valentin Schlafstörungen, Schulangst und eine „beginnende Depression“ und kritisierte, dass dem Jungen kein Schulpsychologe zur Seite gestellt wurde. Die Schule habe die psychische und physische Gewalt gegen Valentin bisher nicht verhindern können „und wird es auch in Zukunft nicht können“, ist sich die Medizinerin sicher und mahnt: „Wie lange kann ein Kind von zwölf Jahren diesen Druck ertragen?“ Die Ärztin kam in ihrem Gutachten zu dem Schluss: „Valentin kann nicht zugemutet werden, diese Schule weiter zu besuchen.“ „Mobbing, wie in Ihrem Schreiben geschildert, ist grundsätzlich kein Grund für eine Ausnahmegenehmigung ... da dies innerhalb der Schule geklärt werden muss“, antwortete das Landesschulamt auf den Antrag von Silvana Richter, ihren Sohn in einer anderen Schule aufzunehmen, gab dem Antrag im gleichen Schreiben dann aber statt. „Ich habe den Eindruck, Erwachsenen wird in einer solchen Situation eher geholfen, als Kindern“, meint Silvana Richter. Sie hat ihren Sohn nun bei einem Psychotherapeuten angemeldet und in sechs Monaten einen Termin bekommen.
Voller Angst ging Valentin noch zur Zeugnisausgabe und wurde - quasi zum „Abschied“ - auf dem Weg zum Schulbus noch einmal verprügelt. Unter „Sozialverhalten“ steht auf seinem Halbjahreszeugnis übrigens die 3, immerhin eine Note besser als bei seinen Peinigern.
Banges Warten
Nun folgte für Familie Richter eine bange Zeit, denn es kam und kam kein Bescheid. „Ich habe mich so schlecht gefühlt - wie viel Unterricht würde er versäumen?“, blickt die Mutter zurück. Am 26. Februar schließlich - neun Tage nach den Ferien - durfte Valentin dann zum ersten Mal ins Philanthropinum. Er fühle sich wohl dort, zwei Patenschüler würden sich um ihn kümmern und auch mit den Leistungen geht es bergauf, ist Silvana Richter froh. Eines aber bewegt sie: „Ich habe von Eltern gehört, dass es in dieser Klasse so weiter geht. So etwas darf aber nicht noch einem Kind passieren“, mahnt sie und ist sicher: „Unsere Tochter wird mal nicht ins Ludwigsgymnasium gehen.“