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Mit Golzaplast begann neue Industrie-Ära

Von MARCUS MICHEL 26.07.2009, 17:06

WEISSANDT-GÖLZAU/MZ. - Der Rohstoff aus der Sowjetunion sollte in Zukunft nicht nur die deutsch-sowjetische Freundschaft schmieren, sondern auch dabei helfen, die bereits 1958 formulierte ökonomische Hauptaufgabe in der DDR zu lösen, den Westen im Pro-Kopf-Verbrauch an Konsumgütern zu überholen.

Der Export veredelter Erdölprodukte wie Kraftstoffe und eben auch Plaste erwies sich bald als gutes Geschäft. Der Einkauf des Rohstoffes erfolgte zum großen Teil als so genanntes Kompensationsgeschäft, die Lieferungen aus der Sowjetunion wurden mit selbst hergestellten Waren bezahlt.

Erdöl-Produkte aus der DDR konnten auf dem Weltmarkt gegen Devisen abgesetzt werden, oft konkurrenzlos billig. Ein neuer Betrieb entstand nun auch in Weißandt-Gölzau, um durch die Verarbeitung von Kunststoffen die DDR im Export auf Weltniveau zu bringen.

Nachdem in Gölzau, im überwiegend landwirtschaftlich geprägten Süden des früheren Landkreises Köthen / Anhalt gelegen, bereits im Herbst des Jahres 1928 ein Braunkohlentiefbau mit einem Werk zur Weiterverarbeitung der Braunkohle im Schwelverfahren den Betrieb aufnahm und in späteren Jahren eine Raffinerie von Erdöl betrieben wurde, musste nicht einmal 40 Jahre nach Produktionsbeginn das Werk aus ökonomischen Gründen wieder geschlossen werden. Die Förderung der Braunkohle aus 90 Metern Tiefe war im Vergleich zu der Förderung in den Tagebauen des Bitterfelder und Delitzscher Reviers zu aufwändig und kostenintensiv. Tausende Tonnen Grubenholz und ein unvorstellbar hoher Energieaufwand ließen die Verantwortlichen im Ministerrat der DDR in Berlin im Sommer 1963 schnell zu ihrer Entscheidung kommen. Die noch Mitte der Fünfziger Jahre geplante und vorbereitete Erschließung des so genannten Mößlitzer Feldes in Richtung Zörbig wurde nicht fortgeführt, die Grube geschlossen.

1965 kam die erste Folie

Der vorerst geplante Weiterbetrieb des Schwelwerkes durch Anlieferung der Ausgangsstoffe Kohle und Erdöl mit der Eisenbahn wurde - ebenfalls mit Hinweis auf die fehlende Wirtschaftlichkeit - nicht weiter verfolgt. Um einen großen Teil der in dem Volkseigenen Betrieb (VEB) beschäftigten Arbeiter und Angestellte am Arbeitsort und in der Region zu halten sowie gleichzeitig die bestehende Infrastruktur wie Kraftwerk, Werkstätten, Gleisanschluss, Sozialeinrichtungen und Verwaltungsgebäude weiter zu nutzen, wurde auf Vorschlag des Volkswirtschaftsrates der DDR beschlossen, für 76 Millionen Mark in unmittelbarer Nähe des stillzulegenden Werkes einen neuen Betrieb zu errichten.

Gegenüber dem alten Schwelwerk errichtete man, quasi auf der anderen Straßenseite, einen Kunststoff verarbeitenden Betrieb. Aus dem sowjetischen Erdöl im VEB Leuna Werke "Walter Ulbricht" (Leuna II) hergestelltes Polyethylengranulat sollte zu Folien für Verpackungszwecke und zu Rohren weiterverarbeitet werden. Der erste Bauabschnitt sah daher die Errichtung eines Kompaktbaus vor, in dem die hierfür notwendigen Maschinen, die Extruder, aufgestellt werden sollten.

Am 24. Juli 1964 erfolgte die Grundsteinlegung der Produktionshalle des VEB Gölzaplast, so der Name des neuen Betriebes. Um den Entwicklungsvorlauf des gleichzeitig aufgebauten Leuna-II-Werkes südlich von Halle einzuholen, wurden die elf Teilvorhaben im neuen Betrieb parallel zum Aufbau der Anlagen in Leuna vorgenommen, um den dort steigenden Produktionsausstoß zeitgleich auch im Gölzauer Werk durch eigene Weiterverarbeitung aufzunehmen. Am 14. Dezember 1965 konnte schließlich die Produktion in der Folienabteilung des Betriebes mit einem Ausstoß von 10 000 Tonnen Polyethylen-Blasfolie im Jahr aufgenommen werden.

Ab dem Jahr 1966 wurde in einer zweiten Ausbaustufe mit der Herstellung von Folien aus Polyvinylchlorid (PVC) im Kalandrierverfahren begonnen. Es entstand ein innovativer Vorzeigebetrieb in Weißandt-Gölzau, welcher zu Recht als Zeichen für die Leistungsfähigkeit der weltmarktfähigen Chemieindustrie in der DDR gelten durfte.

Immer wieder wurde das Bauvorhaben in zahlreichen Büchern und Fachzeitschriften dieser Jahre beschrieben und gewürdigt. Unter dem aus einer Folienbahn und einem Plasterohr stilisiertem kleinen "g" für Gölzau und dem Werbeslogan "Sie haben es in der Hand!" traten die Produkte des Betriebes ihre Reise in die Republik und die weite Welt an. Ein Großteil der Produktion sollte schließlich in den Westen exportiert werden und der DDR wichtige Devisen für die Volkswirtschaft einbringen.

Fusion zum VEB Orbitaplast

Am 1. April 1969 wurde durch einen Zusammenschluss der Werke Gölzau und Eilenburg der VEB Orbitaplast gebildet. Viele Arbeiter kannten den Eilenburger Betrieb bereits aus der Zeit ihrer Umschulung. In den folgenden Jahren ordnete man noch die Betriebsteile dem Gölzauer Betrieb zu, während das Eilenburger Werk recht bald wieder seine Eigenständigkeit erlangte.

Der VEB Orbitaplast verlor seine Unabhängigkeit und bildete seitdem einen Kombinatsbetrieb des VEB Chemiekombinat Buna mit Sitz in Schkopau südlich von Halle. Der von einer Leuchtreklame an der Autobahnbrücke über die Elbe bei Vockerode bekannte Werbeslogan "Plaste und Elaste aus Schkopau" ersetzte fortan eine eigenständige Gölzauer Werbung.

Mit insgesamt 3 800 Beschäftigten entwickelte sich der VEB Orbitaplast bis 1989 zum größten Kunststoffverarbeiter in der DDR. Jeder Quark- oder Margarinebecher in der Republik kam letztlich aus Weißandt-Gölzau. Eine weise und zukunftsträchtige Entscheidung der Verantwortlichen in Berlin, wie sich bereits damals schnell herausstellte.

Die Region zwischen Köthen und Bitterfeld profitiert auch heute noch von dem damaligen Strukturwandel. Durch die Innovationsfähigkeit der Kunststoff verarbeitenden Industrie entwickelte sich ein Garant für einen zeitgemäß hohen Wohlstand und sichere Arbeitsplätze.

Heute produzieren moderne Unternehmen am Standort Weißandt-Gölzau Kunststofffolien aus Polyethylen und PVC. Diese Betriebe sind jedoch keine Rechtsnachfolger des früheren VEB. So produziert zum Beispiel seit 1991 die Orbita-Film GmbH Kunststoff-Folien in Weißandt-Gölzau. Mit einem Produktionsvolumen von 190 000 Tonnen (fast das 20fache gegenüber 1966) und einem Jahresumsatz von über 155 Millionen Euro ist der Betrieb der größte Standort in Europa. Der damalige Werbespruch "Sie haben es in der Hand!" könnte somit heute noch seine Anwendung finden. Denken Sie mal dran, wenn Sie das nächste Mal eine Tüte Gummibärchen aufreißen, den Obstsalat frisch halten wollen oder einfach nur den Müll vor die Tür bringen!