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Landwirtschaft in Anhalt-Bitterfeld Landwirtschaft in Anhalt-Bitterfeld: Ein kompliziertes Jahr

Von sylke hermann 21.10.2015, 09:48
Die neue Erntekrone ist das. Und Landrat Uwe Schulze packt im Foyer der Kreisverwaltung mit an, das Prachtstück aufzuhängen.
Die neue Erntekrone ist das. Und Landrat Uwe Schulze packt im Foyer der Kreisverwaltung mit an, das Prachtstück aufzuhängen. heiko rebsch Lizenz

köthen - Mit besorgtem Unterton zwingt Carmen Lingner die Erntekronenträger zum Innehalten. „Stop, stop, stop“, ruft sie und läuft ihnen entgegen. Am untersten Treppenabsatz angekommen, richtet sie sorgsam die nicht korrekt nach unten hängenden Schmuckbänder. Erst jetzt ist ihr Werk perfekt, dem Landrat präsentiert zu werden. Erst jetzt dürfen Olaf Feuerborn, der Chef des Bauernverbands Anhalt, und Frank Krüger, Betriebsleiter bei Wimex, das gute Stück ins Foyer tragen, wo auch Carmen Lingner aus Drosa wieder lachen kann. Obwohl: „Das Getreide hätte etwas goldener sein können“, kritisiert sie noch immer an der kreislichen Erntekrone dieses Jahres. Unnötigerweise.

Der Mindestlohn bereitet den hiesigen Bauern große Probleme. „Wir wissen noch nicht, wie wir damit umgehen sollen“, sagt der Vorsitzende des Bauernverbandes Anhalt, Olaf Feuerborn. Es sei durchaus möglich, dass einige Produktionszweige wegfallen.

Bei den Saisonarbeiten gab es von 4,30 Euro auf 7,20 Euro einen „enormen Aufschlag“. Und der Einzelhandel würde das „nicht entsprechend honorieren“. Hinzu kämen die strengen Auflagen bei der Arbeitszeit. Nur Ausnahmen ermöglichten es, dass die Arbeiter länger als zehn Stunden am Tag auf den Feldern im Einsatz sind.

Für die Bauern ist der Tag, an dem die Erntekrone in der Landkreisverwaltung aufgehängt wird, traditionell Anlass, Bilanz zu ziehen. Das tun sie auch am gestrigen Dienstag. „Kompliziert und durchwachsen“ sei das Jahr gewesen. „Ein Bauer, der nicht klagt“, wirft Landrat Uwe Schulze ein, „ist kein richtiger Bauer.“ Dabei will Feuerborn gar nicht (nur) klagen. Er sei vielmehr „angenehm überrascht“, was nach der Trockenheit im Frühjahr und der großen Hitze im Sommer letztlich geerntet werden konnte. Dennoch: Insgesamt liegt man etwa zehn Prozent unter dem langjährigen Mittel, beim Roggen fielen die Zahlen noch schlechter aus. Die Kartoffelernte sei noch nicht abgeschlossen und mit den Zuckerrüben habe man gerade erst begonnen - aber in beiden Fällen dürfte die Ernte etwas schlechter ausfallen als im Jahr zuvor, vermutet Feuerborn. Der Regen habe den Kartoffeleinsatz unterbrochen, erzählt er. Noch stünden etwa 20 Prozent auf den Feldern. Doch in den nächsten 14 Tagen will man fertig werden.

Bei der Rückschau auf die Gemüseernte macht Feuerborn deutliche Unterschiede. Eine gewisse Trockenheit könne man durchaus überbrücken, indem man die Felder beregnet; doch man gerate auch hier an Grenzen. Und so sei es manchmal eben nur Lebenserhaltung, von Wachstum keine Rede.

Bei der Milchproduktion habe man es seit Anfang des Jahres schon mit Preisen zu tun, die für die Betriebe nicht rentabel seien. Die Bauern bekämen im Schnitt zwischen 26 und 29 Cent je Kilo; sie bräuchten aber mindestens 35 bis 38 Cent. „Wer heute Milch erzeugt, zahlt zu“, betont der Bauernverband deshalb in seiner Pressemitteilung. Man kämpfe gegen die Überproduktion, müsste die Mengen eigentlich reduzieren, „aber wer fängt an?“, fragt Feuerborn.

Problematisch auch die Lage in der Schweineproduktion - wegen der hohen Futtermittelpreise und der unverändert auf Talfahrt befindlichen Preise für Schlachtschweine. Man müsse damit rechnen, heißt es, dass sich die Tierproduktion immer weiter konzentriere, aber auch Betriebsteile aufgegeben werden könnten.

Carmen Lingner, die Schöpferin der Erntekrone, hört aufmerksam zu, was es aus Sicht der Bauern zu beklagen gibt. Sie weiß, wie hart deren Geschäft ist. Und obwohl das Getreide, wie gesagt, goldener und die Gerste etwas weicher hätte ausfallen können, sei sie mit der Materialauswahl für die Erntekrone 2015 schon zu zufrieden: Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Leinsamen - all das findet sich in ihrem Kunstwerk wieder, für das sie allein eine Woche gebraucht habe, um die Materialien in Form zu wickeln. Wofür sich die 52-Jährige übrigens in den heimischen Kuhstall zurückgezogen habe.

Gelernt, erzählt sie, habe sie das Handwerk von Dorothea Frömmigen, die mittlerweile 80 ist und ihrer Nachfolgerin das Erntekronen-Geschäft nun gänzlich überlassen habe. Obwohl: So ganz allein musste Carmen Lingner dann auch nicht arbeiten. „Ich hatte Hilfe von Vera Thormann“, bedankt sie sich. Was auch Landrat Uwe Schulze nicht versäumt, dem die Krone wiederholt gut gefällt. (mz)

Der Sommer war aus Sicht der Bauern viel zu trocken.
Der Sommer war aus Sicht der Bauern viel zu trocken.
Heiko Rebsch Lizenz