Krebskrankes Kind aus Bitterfeld Krebskrankes Kind aus Bitterfeld: Einer der letzten Wünsche wird wahr

Köthen/Bitterfeld - Langsam rollt das weiße Leichtflugzeug mit dem roten Propeller auf die Startbahn zu. Das Motorengeräusch wird lauter und der Flieger steigt auf in den lauen Sommerabend, der über Köthen liegt. Auf dem rechten der beiden Plätze in der Kanzel sitzt ein zehnjähriger Junge aus Bitterfeld. Er wird bald sterben.
Der Junge heißt Meindert Bildhoff, seine Eltern und Freunde nennen ihn kurz „Meini“. Überall in seinem Körper wachsen Tumore heran und befallen die Organe. Es gibt keine Hoffnung mehr auf eine Heilung des Weichteilkrebses. Kurz vor der Runde im Leichtflugzeug haben die Ärzte der Familie mitgeteilt, dass Meini nur noch wenig Zeit zu leben hat - Wochen oder vielleicht auch Tage.
Was macht man, wenn jeder Tag der letzte sein könnte; wenn der Spruch „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“, plötzlich kein Geplapper, sondern verdammte Realität ist? Man versucht, die Zeit, die einem noch bleibt, so gut wie möglich zu nutzen und sich seine Herzenswünsche zu erfüllen. Doch mit kitschigen Geschichten aus Büchern und Filmen hat das nichts zu tun, denn die Krankheit ist selbst in der Zeit der letzten frommen Wünsche unbarmherzig. Sie nimmt keine Rücksicht auf ein Happy-End.
So ist die Stimmung am Mittwochabend, kurz bevor Meini zum ersten Mal in seinem Leben fliegen wird, angespannt. Seine Mutter und Meinis Stiefvater wissen nicht, ob der Junge gesundheitlich überhaupt in der Lage ist, eine halbe Stunde über die Goitzsche, sein Haus in Bitterfeld und das seines besten Freundes zu schweben. Doch er schafft es. Nach der Landung beschreibt er sein Erlebnis mit nur einem Wort: „Cool!“
Die Geschichte von Meinis Krankheit ist kurz und voller Höhen und Tiefen: Am 9. August 2013 - das Datum nennt seine Mutter Kathrin Bildhoff-Rohr wie aus der Pistole geschossen - klagte der Junge über Bauchschmerzen. Die Ärzte fanden einen Tumor und fingen sofort mit der Behandlung an. „Wir haben den Tumor erst bekämpft und das sah auch gut aus“, erinnert sich Dirk Rohr, Meinis Stiefvater. Doch noch während der Therapie im November letzten Jahres brach der Krebs erneut aus - im Knie. „Nach und nach hat er alle Organe befallen“, sagt die Mutter. Eine letzte Möglichkeit, den Zehnjährigen zu retten, versprach eine Pille im Uniklinikum Essen (Nordrhein-Westfalen). Doch auch die wirkte nicht.
Seitdem geht es darum, Meini in der verbleibenden Zeit möglichst viele Wünsche zu erfüllen und die Schmerzen zu lindern. Ganz oben auf seiner Liste steht, einmal das Meer zu sehen, den Sand und das Wasser zu berühren. Seine Eltern sprechen über solch vermeintlich kleine Wünsche, seine Mutter aber sieht kaum noch Chancen, dass ihr Sohn eine längere Reise, etwa an die Ostsee, durchsteht. Auch ihre Kräfte scheinen inzwischen zu schwinden: Zusammen mit ihrem Partner muss sie sich um sechs Kinder kümmern, zu Meinis Vater habe sie kein gutes Verhältnis mehr. Wie ihr Alltag aussehe? „Alltag?“, sagt sie mit hoher Stimme und lacht. Es klingt gepresst. Kurz danach fängt sie an zu schluchzen. „Man schläft kaum noch, man funktioniert nur noch. Es gibt keinen Anfang und kein Ende.“
Meini ist fast die ganze Zeit dabei, wenn die Eltern erzählen, und registriert alles, was um ihn herum geschieht. Zwar bekommt er starke Schmerzmittel, doch er wirkt nicht abwesend. Er weiß, dass er bald sterben wird. Dieser Flug war vermutlich sein letzter. „Das Flugzeug hat ganz schön gewackelt. Aber Angst hatte ich nicht.“ (mz)