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Köthen Köthen: Stolpersteine halten Erinnerung lebendig

Von MATTHIAS BARTL 28.10.2010, 18:25

KÖTHEN/MZ. - Irene Currie ist in diesem Jahr 83 Jahre alt geworden. Da überlegt man genau, ob man eine Reise antritt, die einen an einen Ort führt, der mehr als 1500 Kilometer entfernt ist. Dass die Frau aus Frankreich dennoch nach Köthen gekommen ist, hat mit Gunter Demnig zu tun. Und mit Monika Knof. Und vor allem und zu allererst mit der Erinnerung an Alfred Tokayer, Irene Curries Vater. Für ihn, der 1943 im Vernichtungslager Sobibor von den Nazis ermordet wurde, für seine Eltern Moritz und Gertrud, die ebenfalls im Holocaust umgebracht wurden, und für fünf weitere jüdische Mitbürger, Opfer der braunen Diktatur, wurden am Donnerstag in Köthen "Stolpersteine" verlegt. Unter anderem am Buttermarkt, wo die Familie Tokayer ein Schuhgeschäft hatte.

Die Idee der "Stolpersteine" stammt von dem Kölner Künstler Gunter Demnig, der mit ihnen an Opfer der NS-Zeit erinnert - an Juden, Zigeuner, Homosexuelle, politisch Verfolgte -, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort einen "Stolperstein" im Pflaster des Fußwegs versenkt. 1996 hat Demnig mit der Aktion begonnen, um auf diese besondere Weise das Vergessen zu bekämpfen - erst sozusagen "illegal", seit 2000 auch ganz offiziell und in Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden, in denen via "Stolperstein" an manche bislang faktisch namenlose Opfer erinnert wird.

Alfred Tokayer hatte man in Köthen schon vor zwei Jahren dem Vergessen entrissen, als das französische Ensemble "Voix Etuffeés" (Verstummte Stimmen) auch Musik von Alfred Tokayer spielte. Im Jahr 2008 wurde zur 70. Wiederkehr der nationalsozialistischen Pogromnacht auch die Idee geboren, dass auch auf Köthens Straßen "Stolpersteine" gehörten, um das Gedenken an Männer wie Alfred Tokayer, der 1935 aus Deutschland auswandern musste, wach zu halten.

OB Kurt-Jürgen Zander verwies auf die Notwendigkeit einer Kultur des Mahnens und Erinnerns "an die dunkelste Zeit, die Europa erlebt hat". Jeder, der hier am Buttermarkt entlang gehe, werde daran erinnert. "Und es gäbe noch eine Menge Stolpersteine zu verlegen", so Zander, der darauf hofft, dass in zwei oder drei Jahren in Köthen weitere der in Beton gegossenen Messingplatten verlegt werden, auf denen die Namen, die Geburts- und, wenn ermittelbar, die Sterbedaten der Opfer eingraviert sind. Die Kosten für die Steine und das Verlegen werden ausschließlich durch Spenden gedeckt. In Köthen hat sich besonders Stadtarchivarin Monika Knof um den Fortgang der Aktion verdient gemacht. Aus ihrer Feder stammt eine Broschüre, die in knapper wie eindringlicher Form die Geschichte der jüdischen Mitbürger erzählt, denen die ersten "Stolpersteine" gewidmet sind. Die Broschüre kostet zwei Euro, die durch den Verkauf des Heftes eingenommenen Mittel werden vollständig dazu verwendet, neue "Stolpersteine" in der Stadt zu finanzieren.

51 solcher Steine des Gedenkens wären in Köthen möglich, hat Monika Knof ermittelt. Als nächstes würde sie gern einen Stein für Johanne Mendershausen verlegen lassen, die als eine der letzten Köthener Juden aus ihrer Wohnung vertrieben wurde, eine Zeitlang in der so genannten Baracke IV auf dem Turnhallenplatz hausen musste, ehe sie nach Theresienstadt deportiert wurde, wo sie umkam.

Irene Currie hat sich - wie zum Abschied - tief über die "Stolpersteine" gebeugt, die an ihren Vater und an ihre Großeltern gemahnen, macht ein Foto von den gelb-glänzenden Steinen. "Es ist für mich unglaublich erschütternd", sagt sie. Die Steine seien "ein richtiger Abschluss für mich, als würde ich auf einen Friedhof gehen". Sie wisse nicht, ob sie jemals noch einmal nach Köthen kommen könne, "aber ich habe wenigstens das Glück gehabt, dies noch erleben zu können".