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Köthen Köthen: Obstdiebe dürften einst bitter enttäuscht gewesen sein

Von CLAUS BLUMSTENGEL 05.07.2011, 16:56

KÖTHEN/MZ. - Sie wuchsen einst tatsächlich im "Fürstlichen Obstmustergarten" an der Fasanerieallee in Köthen - die Pomeranzen. Und mögen Obstdiebe damals im wahrsten Sinne des Wortes bitter enttäuscht haben; denn diese Kreuzung aus Pampelmuse und Mandarine sieht zwar appetitlich aus, ist aber zum rohen Verzehr nicht geeignet. Nicht umsonst wird sie auch "Bitterorange" genannt. Mancher Urlauber wird diese einer Apfelsine täuschend ähnliche Zitrusfrucht - zum Beispiel in der Türkei - schon an Straßenbäumen bewundert haben.

Hinweise auf Pomeranzen in Köthen finden sich im Gartenbaukatalog des Köthener Hofgärtners Zacharias Gottschalk aus dem Jahr 1703 und seit Montag auf einer Informationstafel des ebenfalls im Obstmustergarten ansässigen Pomologenvereins. Die Obstforscher um Manfred Ruppert haben herausgefunden, dass Hofgärtner Zacharias Anfang des 18. Jahrhunderts 30 Pomeranzen-Bäume - vermutlich aus Italien - nach Köthen holte und hier pflanzte. Überwintert wurden sie in der Orangerie.

So eine große Sensation war das damals allerdings gar nicht, kam die Pomeranze doch schon um 1500 nach Europa, 300 Jahre vor der Orange. Der Grund: Die bittere Hybride verkraftet das hiesige Klima besser. Bald fand man heraus, dass sich aus der bitteren Frucht so manches zubereiten lässt. Das vor allem für die Stollenbäckerei verwendete Orangeat gewinnt man aus der Fruchtschale, ebenso die englische Orangenmarmelade. Saft und Schalen sind die Zutaten für den Likör Curaçao. Seit Jahrhunderten werden aus der Frucht, aus Blüten und Blättern Grundstoffe für Parfüms gewonnen. Heutige Alchimisten preisen den aus der Bitterorange gewonnenen Stoff Synephrin als Fett-Verbrenner und Schlankheitsmittel.

Die am Montag enthüllte Informationstafel ist die letzte von acht, die der Pomologenverein in den vergangenen Jahren mit Hilfe von Mitteln der Köthener Bürgerstiftung aufgestellt hat. Dass das Thema "Pomeranzen am fürstlichen Hof zu Köthen" recht werbewirksam ist, zeigte sich an etlichen Besuchern, die trotz des Regens in den Obstmustergarten gekommen waren.

Auch Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander schaute sich die neue Errungenschaft des Vereins an. Er bezeichnete den gepflegten Schaugarten mit seltenen, uralten Obstsorten als "wunderbare Sache". Das der Stadt gehörende und seit 2006 von den Pomologen gepachtete Grundstück sei zuvor in einem schlechten Zustand gewesen. "Wer das von früher kennt, ahnt, wie viel Arbeit da drin steckt", äußerte der Oberbürgermeister. Er ermutigte den Pomologen Verein, die alten, vom Aussterben bedrohten Obstsorten zu erhalten und auch in Zukunft Kinder für den Obstbau und die Natur zu interessieren.

Der Verein bietet nämlich Schulklassen eine Stunde in seinem Obstgarten an, in der die Mädchen und Jungen selbst ernten können, so manches über alte Obstsorten und deren Herkunft lernen und Produkte aus Obst wie Apfelsaft und Obstkuchen probieren. Die Themen der acht Tafeln wählte der Verein nicht spontan.

Schon kurz nach Übernahme des Obstmustergartens hat er ein Konzept erarbeitet, nach dem mit den Tafeln und dazugehörigen ausführlichen Mappen Zusammenhänge zwischen Gartenbau, Geschichte und gesellschaftlicher Entwicklung in Köthen hergestellt werden sollen.

So entstanden Tafeln wie "Wildobst in Anhalt - das Brot des kleinen Mannes", "Berühmte Straßenobstalleen", "Von der Landesbaumschule zum Obstmustergarten", "Der Fürstliche Obstmustergarten im Wandel der Zeit" und "Die Türkei und die Kirschen im Obstmustergarten".

"Wir haben beim Oberbürgermeister einen Stein im Brett", wies Pomologe Manfred Ruppert auf die gute Unterstützung seitens der Stadt hin. Aber auch zu den benachbarten Gartenfreunden herrsche ein gutes Verhältnis. Die helfen den Pomologen - wenn für Schüler ein Diavortrag gehalten werden soll oder Bäume bewässert werden müssen - über einige Mängel hinweg. Der Obstmustergarten der Pomologen hat nämlich weder Wasser- noch Stromanschluss. Pläne haben die Obstforscher noch jede Menge. So würden sie den Obstmustergarten gern täglich für Besucher öffnen. Besichtigungen müssen zurzeit nämlich bei der Stadtinformation im Schloss angemeldet werden.

Auch stoße man bei den Unterrichtsstunden für Schüler so manches Mal schon an personelle Grenzen. "Wenn wir jemanden als feste Arbeitskraft dafür hätten, wäre dieses Problem gelöst", meint Ruppert.

Da der Obstmustergarten über zahlreiche seltene, Jahrhunderte alte Obstsorten und die entsprechenden Dokumentationen verfügt, könne er sich sogar vorstellen, daraus ein Konsultationszentrum für das Anlegen von Streuobstwiesen zu entwickeln. Eines wurde bei der Einweihung der neuen Informationstafel allerdings nicht erwähnt: Reichlich 100 Jahre nach der ersten Pflanzung erschien in Köthen und Umgebung noch eine andere Gattung von Pomeranzen, die es hin und wieder auch heute noch geben soll.

Der Schriftsteller Wilhelm Hauff erwähnte diese Damen aus der Provinz mit frischem, einer Pomeranze ähnelndem Teint und bescheidener Bildung zum ersten Mal 1825 in seinem Werk "Der Mann im Mond".

Anmeldungen für die Besichtigung des Obstmustergartens in der Fasanerieallee (nahe der Gaststätte "Hubertus") bei der Stadtinformation Köthen, Schlossplatz 4, Telefon 03496 / 21 62 17, E-Mail [email protected]