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Köthen Köthen: Hoch hinaus bei den Studententagen

Von sylke hermann 07.06.2012, 18:13

köthen/MZ. - "Noch 20 Sekunden, ungefähr." Fünf, vier, drei, zwei, eins - und ab. Sven Kersten schickt Anne-Marie Reißner auf die Strecke. Als letzte. Und dann pinselt er die Startzeit auf die Rückseite eines braunen A 5-Briefumschlages, guckt prüfend auf seine laubfroschgrüne Armbanduhr am linken Handgelenk, die nicht mal die Minuten genau anzeigt. Eine Stoppuhr braucht er nicht. Er käme klar - und grinst.

Zehn Namen stehen auf Kerstens improvisierter Starterliste für den ersten Hochhauslauf in Köthen. Ein sportlicher Höhepunkt der 41. Studententage, die am Freitagabend mit Lagerfeuerromantik und Live-Musik von Käsch zu Ende gehen.

Diese Zehn haben sich mehr oder weniger spontan entschlossen, den Spaß mitzumachen. Worauf sie sich einlassen, wissen sie nicht, und wenn, wäre es ihnen vermutlich auch egal. "Ich dachte, ich krieg hier ein Bier", sagt Robert Fiedler, der am Morgen noch eine Prüfung geschrieben hat, die nicht besonders gelaufen zu sein scheint. Er will sich einfach nur abreagieren. Die Zeit, mit der er nachher auf dem Umschlag stehen wird, ist nicht so berauschend, "obwohl er richtig schnell aussah", findet Kersten, der die Idee entwickelt und das Spektakel mit organisiert hat. Mit extrem wenig Aufwand. "Wir haben einen Tisch in die zehnte Etage gebracht, natürlich mit dem Fahrstuhl, einen Kasten Wasser, ein paar Becher und das war's auch schon."

Kurz vor halb drei geht es dem 45-Jährigen gar nicht gut. Seine Hochhauslaufstarter fangen an zu schwächeln. Sechs haben eigentlich zugesagt, plötzlich sind's nur noch zwei. Robert - und Alexander Bause, 23, angehender Medientechniker. "Da hat man schon mal 'ne gute Idee und dann kommt keiner", ärgert sich Sven Kersten, der im Studentenclub mitmacht.

Plötzlich trudeln sie ein. Nach und nach. Vor allem Jungs. Es scheint, als blieben sie unter sich. Doch dann erklärt Hanna Lange, die blonden Haare sportlich zum Zopf gebunden, sie läuft mit: "Ach nee, vielleicht doch nicht?" Zu spät. Sven Kersten ist schnell und trägt sie in seine Starterliste ein.

Draußen erklärt er den Startern die Teilnahmebedingungen, die sich darin erschöpfen, dass es untersagt ist, den Fahrstuhl zu benutzen. "Der ist so langsam - und hängt manchmal", rät Mitorganisator Dennis Kumpf grundsätzlich davon ab. "Und ihr müsst euch natürlich dem ganz normalen Hochhausbetrieb anpassen. Wenn euch gerade 30 Chinesen entgegen kommen, Pech gehabt", deutet Sven Kersten auf Schwierigkeiten hin. Er hat selbst mal hier gewohnt, in der siebten Etage, und fand es immer doof, den Kasten Bier hochbuckeln zu müssen, weil der Fahrstuhl mal wieder nicht ging. "Ich wollte das Leid einfach teilen", grinst er.

Und die Studenten leiden. 16 Stufen, um eine Etage zu bewältigen, 160 bis oben. Im zehnten Stock müssen sie ihre Zielsicherheit unter Beweis stellen und versuchen, einen federleichten Softdrink-Verschluss in einem giftgrünen Spielzeug-Eimer zu versenken. Drei Versuche haben sie. Für jedes Mal, das sie nicht treffen, droht ihnen eine Strafrunde außen herum über den Balkon - und sie laufen alle ihre Zusatzrunden. Auf dem Balkon warnen Susanne Stopp und Katharina Hahn alle, die angerannt kommen: Vorsicht, rutschig!

Irgendwann mitten im Rennverlauf passiert es doch: Zwei Teilnahmer treffen sich im Treppenhaus. Michael Weigel, der spätere Sieger in zwei Minuten und drei Sekunden, saust die Stufen hinunter, während sich Sebastian Albrecht nach oben kämpft: "Da ist der Gleichgewichtssinn erst mal weg", erzählt er später, "alles dreht sich".

Ab der sechsten Etage fühlt sich Hanna Lange "ein bisschen platt". Dafür ist ihre Zeit fantastisch. Drei Minuten und vier Sekunden. Sie hätte es gut gefunden, wenn ein paar mehr Kommilitonen da gewesen wären, um ein bisschen Stimmung zu machen.

Der Spaß an der Freude kommt trotzdem nicht zu kurz. Selbst bei Alexander Müller, der sich eigentlich nur aus Solidarität hat aufstellen lassen. Zu der Zeit, als er vorbeischaut, sind gerade mal zwei Leute angemeldet. Als er in Sportklamotten zurückkommt, sind es mit ihm Zehn. Egal. Er läuft trotzdem.

Auch Stephan Schmidt, der eigentlich Fotos machen will, ist einer der Kurzentschlossenen. Am Ende braucht er knapp über fünf Minuten für die 160 Stufen plus Strafrunden. So viel wie keiner. Unten angekommt sagt er nur: "Ich bin gut." Sven Kersten grinst. Er weiß warum. War er doch von mehr als zehn Minuten pro Läufer ausgegangen und hat sich damit gründlich verschätzt. "Aber ich bin auch alt und langsam", begründet er.