Kita-Streik in Köthen Kita-Streik in Köthen: Kindergarten für einen Tag bei Familie Diener

köthen - Laura, Elisabeth und Henriette haben es sich in der Hängematte bequem gemacht. Die Sonne scheint in den Garten, die Vögel zwitschern von den Bäumen, da lässt es sich gut schaukeln und träumen. Ein paar Meter weiter klettern Johann und Finja auf die bunte Rutsche und sausen herunter. Die Kinder haben ihren Spaß, das ist ihnen anzusehen.
Fast könnte man meinen, in einem Kindergarten zu sein. Doch der Schein trügt. Der weitläufige Garten hinter dem Wohnhaus in der Köthener Zimmerstraße mit den Spielgeräten drauf ist Privatgelände und wurde am Montag zu einem kleinen Kinderparadies umfunktioniert. Es ist die unkonventionelle Antwort von Katrin und Frank Diener auf den noch immer andauernden Streik der Hort- und Kita-Erzieherinnen. Die Gewerkschaft Verdi hatte am Montag in Dessau-Roßlau und Köthen erneut zu Streikaktionen aufgerufen.
Die Gewerkschaft Verdi fordert eine Neuregelung der Eingruppierungsvorschriften und Tätigkeitsmerkmale, die bundesweit für die rund 240 000 Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst zu Einkommensverbesserungen von durchschnittlich zehn Prozent führen würden. Verdi bekräftigt die Forderungen nach einer nachhaltigen Aufwertung von Berufen im Sozial- und Erziehungsdienst. Die Arbeit mit und für Menschen habe endlich mehr Anerkennung verdient.
Indirekt profitieren von einem Tarifergebnis mit den kommunalen Arbeitgebern auch die mehr als 500.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst bei freien und kirchlichen Trägern.
Neben dem Geld geht es u.a. um eine verbesserte Fachkraft-Kind-Relation, mehr Personal und Zeit für Vor- und Nachbereitung, um den Beruf attraktiver zu machen und die Zufriedenheit der Beschäftigten zu erhöhen. Das sind jedoch Arbeitsbedingungen, die nicht per Tarifvertrag geregelt werden können. Hier ist die Bundesregierung gefragt. Gemeinsam mit dem Bundesfamilienministerium und weiteren Beteiligten wird aktuell ein Bundesqualitätsgesetz für Kitas diskutiert. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) arbeitet hier federführend mit.
In Köthen werden alle zehn kommunalen Kitas und Grundschulhorte bestreikt. Die Stadt hat im Vorjahr für Kitas und Horte 4,9 Millionen Euro an Personalkosten ausgegeben. Köthen beschäftigt in den zehn Einrichtungen derzeit 109 Mitarbeiterinnen, ausschließlich pädagogische Fachkräfte.
Weitere Hintergrundinformationen im Internet auf www.verdi.de und www.gew.de
„Wann darf ich wieder mit Henriette und Laura spielen?“ Mit dieser Frage löcherte Elisabeth Diener seit mehreren Tagen ihre Eltern. Am 8. Mai, schilderte Katrin Diener, waren die Kinder das letzte Mal zusammen in ihrer Kindertagesstätte „Spielkiste“. Am 11. Mai habe dann der Streik begonnen. Seither haben sich die Kinder, die befreundet sind, nicht mehr gesehen.
Unterstützung in der Familie
„Wir wollten ihnen wieder ein paar gemeinsame Stunden ermöglichen und den Eltern zumindest für einen Tag die Chance geben, ihrer Arbeit nachgehen zu können“, begründete Katrin Diener. Das habe sie freilich nur machen können, weil sie sich derzeit mit ihrem 13 Wochen alten Sohn Friedrich im Erziehungsurlaub befinde. „Wäre Sprößling Friedrich nicht, hätten auch wir sehen müssen, wo wir unsere Kinder Elisabeth und Johann beim Streik der Erzieherinnen unterbringen.“ So aber fügte sich alles gut zusammen. Die Eltern von Laura, Henriette und Finja waren angetan von der Idee, nahmen die Einladung gern an und gaben ihre Schützlinge bei Dieners ab. Katrin Diener fand Unterstützung in der Familie. Ihre Mutter Petra Mehner half beim Mittagessen und kochte einen großen Topf mit Tomatensoße. Ehemann Frank, der am Vormittag von seinen Mitarbeitern für eine Stunde freigestellt wurde, brachte zwei Tüten Spirellis und Obst vorbei. „Nudeln und rote Soße, das kommt bei Kindern immer gut an“, sagte Katrin Diener.
Nach dem stärkenden Mittagbrot standen Basteln mit Knete und andere Beschäftigungen auf dem Programm. Am Nachmittag gegen vier Uhr holten die Eltern ihre Kinder aus der Zimmerstraße wieder ab. „Ich fand die Idee von Dieners ganz toll“, bemerkte eine Mutti.
Bei Katrin und Frank Diener hält sich das Verständnis für den Streik in Grenzen. Frank Diener erzählte von einer Ärztin, die in einer Köthener Klinik arbeitet. Sie habe ihre beiden Kinder - zwei und sechs Jahre - am Montag zu ihrer Mutter aufs Dorf bringen müssen. Wenn ihr Dienst am Mittwochmorgen endet, werde sie die Kinder wieder abholen.
Tariflichen Forderungen zu hoch?
Bei einem anderen Elternpaar könne der Mann, der als Fernfahrer arbeitet, seine Tour erst beginnen, wenn seine Frau am späten Nachmittag aus Magdeburg von der Arbeit zurückgekommen ist, weil niemand da sei, der sich um das Kind kümmern könne. „Längst nicht jede Berufsgruppe steht dem Streik in den Kitas so locker gegenüber, wie das Zeitungsartikeln in der vorigen Woche zu entnehmen war. So sehen es Ärzte mit straffem Dienstplan wesentlich kritischer, genau wie andere Freiberufler oder Eltern, die ihre Kinder durch einen Gewerbebetrieb ernähren müssen“, äußerte Frank Diener.
Er persönlich hält die tariflichen Forderungen von rund zehn Prozent für zu hoch. „Die Schere zu den Mitarbeiterinnen in Kindertagesstätten freier Träger, die ja ohnehin weniger verdienen als in kommunalen Einrichtungen, wird damit noch größer.“ (mz)
