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Krieg in Ukraine Zusammen gegen die Angst: Kinder und Erwachsene versammeln sich an Friedenstaube in Radegast

Spaziergang führt vom Marktplatz zur Grundschule. Welche Aktionen zur Hilfe für Flüchtlinge Bürgermeister und Vereine begonnen haben.

Von Wolfram Schlaikier Aktualisiert: 09.03.2022, 18:08
Ida, Charlotte und Ole (v. li.) drücken die Stöcke mit den von Grundschülern gebastelten Friedenstauben in den Rasen vor der Schule in Radegast.
Ida, Charlotte und Ole (v. li.) drücken die Stöcke mit den von Grundschülern gebastelten Friedenstauben in den Rasen vor der Schule in Radegast. (Foto: Ute Nicklisch)

Radegast/MZ - Ida und Ole sind unzertrennlich. Das Mädchen und der Junge, beide fünf Jahre alt und befreundet im Kindergarten, gehen Hand in Hand mit Eltern und Nachbarn durch die Walther-Rathenau-Straße. Ida hat Hunger und mampft ein belegtes Brot mit Käse, denn eigentlich ist Abendbrotzeit für Fünfjährige. Doch der Montagabend ist anders in Radegast.

Mehr als 100 Erwachsene, Jugendliche und viele Kinder sind dem Aufruf des Vereins „Radegast (be)leben“ gefolgt und um 18 Uhr auf den Marktplatz gekommen. Angesichts des Überfalls der russischen Armee auf die Ukraine drücken sie ihre Ängste und Sorgen aus, sie machen sich aber auch gegenseitig Mut.

„Jeder von uns hat diese unfassbaren Bilder gesehen“, sagt Ortsbürgermeister Jörn Mozdzanowski und ringt um Fassung: „Ich bin stolz, dass wir etwas tun.“ Das Sportlerheim sei vom Verein „Radegast (be)leben“, von der Feuerwehr und vom Sportverein als Notunterkunft hergerichtet worden. Elf Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet - Frauen, Jugendliche und Kinder - sind dort untergekommen.

Ortsbürgermeister Mozdzanowski bittet darum, freie Wohnungen zu melden

Auf dem Vereinskonto seien bisher rund 2.400 Euro Spenden eingegangen, die man weiterleiten wolle an Raymond Schulz von der Sanitätsschule in Köthen. Schulz organisiert Hilfstransporte ins Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine (die MZ berichtete).

Mozdzanowski appelliert an Hausbesitzer, „beziehbaren Wohnraum“ für Kriegsflüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Die Menschen aus der Ukraine bräuchten zugleich Nähe und Ruhe, um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

Der „Spaziergang für den Frieden“ begann mit kurzen Reden auf dem Markt in Radegast.
Der „Spaziergang für den Frieden“ begann mit kurzen Reden auf dem Markt in Radegast.
(Foto: Ute Nicklisch)

„Auch meine Stimme flattert“, gesteht Mandy Knopf, die Leiterin der Grundschule. „Das Leid in der Ukraine bedrückt uns. Wir können das nicht verstehen, und das macht uns Angst.“ Sie bittet alle Eltern, Fragen ihrer Kinder ehrlich zu beantworten und möglichst nichts zu verharmlosen.

In solchen Krisen wie jetzt zusammenzuhalten, sei wichtig. „Was für kleine Menschen gut ist, gilt auch für die großen.“ Mit ihren selbst gebastelten Friedenstauben wollen die Schulkinder Zeichen setzen für den Frieden, betont die Lehrerin.

Bürgermeister Thomas Schneider versichert den Demonstranten, dass die Stadt Südliches Anhalt ihre Initiativen unterstütze. Schneider erinnerte die älteren Erwachsenen an den Kalten Krieg, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte zwischen der Nato und den Staaten des Warschauer Vertrags. „Auch ich dachte, dass es sich bei dem Konflikt um ein Kräftemessen zwischen zwei Parteien handelt. Es ist anders gekommen.“

Der „Spaziergang für den Frieden“, wie der Verein die Demonstration nannte, kommt nach einer Viertelstunde an der Grundschule am Postring in Radegast an. Mütter, Väter und Großeltern helfen den Kindern, ihre Stöcke mit den Friedenstauben in den Rasen im Vorgarten zu drücken.

Auch Ida und Ole bemühen sich nach Kräften, mithilfe von Idas Mutter Lisa Schöppe gelingt es. Die Designerin hatte die Vorlage für die Friedenstaube auf dem Schulhof entworfen, um die sich nun alle versammeln.

Demonstration endet an der Friedenstaube auf dem Schulhof in Radegast

Einige Menschen reden miteinander, viele schweigen, schauen gen Himmel, wo eine Drohne das Geschehen dokumentiert. Das wäre der ideale Zeitpunkt gewesen, gemeinsam zu singen.

Das Bild  einer Drohne zeigt die Demonstranten  an der  Friedenstaube auf dem Schulhof in Radegast.
Das Bild einer Drohne zeigt die Demonstranten an der Friedenstaube auf dem Schulhof in Radegast.
(Foto: Elias Mozdzanowski)

Ältere Ostdeutsche dürften noch den Text kennen von „Kleine weiße Friedenstaube“, komponiert und getextet 1948 von der Kindergärtnerin Erika Schirmer aus Nordhausen. Wer sich an die Friedensgebete in Kirchen im Herbst 1989 in der DDR erinnert, könnte „Verleih uns Frieden gnädiglich“ anstimmen, verfasst 1529 von Martin Luther.

Im Herbst 1989 drohte die Gefahr, dass die Proteste gegen die sozialistischen Diktaturen in Europa den Kalten Krieg umschlagen lassen in einen echten Krieg. 33 Jahre später haben viele Menschen wieder Angst vor Krieg, das war zu spüren in Radegast.

Spenden für Kriegsflüchtlinge gehen an: Verein Radegast beleben, IBAN DE63 8005 3722 0305 0240 60, Kontakt: 0171/8 54 10 13. Die Verwaltung Südliches Anhalt nimmt Sachspenden an, Kontakt: 034978/2 65 59, [email protected].