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Informationsveranstaltung in Köthen Informationsveranstaltung in Köthen: "Wir gehen jetzt von 2.000 Flüchtlingen aus"

Von Stefanie Greiner 16.09.2015, 19:05
Landrat Uwe Schulze rief die rund 400 Teilnehmer der Informationsveranstaltung dazu auf, die Flüchtlinge in der Stadt willkommen zu heißen.
Landrat Uwe Schulze rief die rund 400 Teilnehmer der Informationsveranstaltung dazu auf, die Flüchtlinge in der Stadt willkommen zu heißen. Heiko Rebsch Lizenz

Köthen - Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld wird weitere Flüchtlinge aufnehmen. Das machte Landrat Uwe Schulze am Dienstagabend bei einer Informationsveranstaltung in Köthen deutlich. Und stieß damit nicht nur auf Zuspruch bei den Bürgern.

„Wir hatten schon geahnt, dass es nicht bei den 550 Flüchtlingen bleiben wird“, sagte er. Bei den Menschen also, die vergangenes Jahr im Landkreis eine Zuflucht gefunden hatten. Anhalt-Bitterfeld bereitete sich vorsorglich auf 900 bis 1 000 vor. Nun aber zeigt sich: Auch das wird nicht reichen. „Wir gehen jetzt von 2 000 Flüchtlingen aus“, machte Uwe Schulze in der Sporthalle der Dr.-Samuel-Hahnemann-Schule deutlich.

Rund 400 Bürger waren dabei, als Vertreter des Landkreises und der Stadt über die Entwicklungen der Flüchtlingsproblematik informierten. Und erläuterten, was das für den Landkreis und für die Stadt bedeuten wird. Die MZ beantwortet an dieser Stelle die wichtigsten Fragen.

Wie viele Flüchtlinge muss der Landkreis Anhalt-Bitterfeld aufnehmen?

Bis Ende des Jahres muss der Landkreis 2 000 Flüchtlinge aufnehmen. Diese Zahl ergibt sich aus der Einwohnerzahl. 1 387 Menschen hat Anhalt-Bitterfeld bereits aufgenommen. Vorreiter waren Bitterfeld-Wolfen, Raguhn-Jeßnitz und Muldestausee, die mehr Menschen eine Zuflucht boten, als vorgegeben war. Was in erster Linie daran liegt, dass dort Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber angesiedelt sind. „Wir können nicht alle in einem Gebiet ballen“, machte der Landrat aber deutlich. Andere Städte und Gemeinden müssen also nachziehen. Darunter Köthen.

Wie viele Flüchtlinge werden nach Köthen kommen?

In der Stadt lebten bislang 78 Flüchtlinge. In der Nacht zum Mittwoch kamen 38 weitere hinzu. 20 Menschen wurden in Wohnungen in Köthen und Baasdorf untergebracht. Es handelt sich dabei um Familien. 18 junge Männer kamen in der Notunterkunft im ehemaligen Gymnasium „An der Rüsternbreite“ unter. In Köthen, wozu auch Baasdorf gehört, leben damit 116 Flüchtlinge. 320 sollen es bis Ende des Jahres sein.

Kommen nur junge Männer an?

Diese Frage bewegte am Dienstagabend die Gemüter. Eine Bürgerin beschwerte sich darüber, dass der Landkreis nur Männer aufnehmen, Frauen und Kinder aber im Stich lassen würde. Und schien damit auch anderen Bürgern aus der Seele zu sprechen, denn ein Raunen machte sich breit, das von Unverständnis zeugte. Zu Unrecht, wie sich unglücklicherweise erst nach der Veranstaltung zeigte. Denn es stimmt nicht, dass ausschließlich Männer in Köthen ankommen. Bei der Informations- und anschließenden Fragerunde war ausschließlich von 20 jungen Männern gesprochen worden, die noch in der Nacht in der Notunterkunft in der Rüsternbreite ankommen sollten. Nicht aber von den Familien, die Köthen ebenso erreichen würden.

Wo werden die Flüchtlinge untergebracht?

Schulen, Turnhallen, Zeltstädte. Für Uwe Schulze sind das keine Alternativen, um Flüchtlinge unterzubringen. „Sie verdienen eine menschenwürdige Unterbringung“, machte er deutlich. Wohnungen also. Welche zu finden, merkte der amtierende Oberbürgermeister Alexander Frolow an, sei in Köthen derzeit gar nicht so leicht. Zunächst einmal müsse herausgefunden werden, wo es freien Wohnraum gebe. Die Notunterkunft in der Rüsternbreite ist also schon allein deshalb unerlässlich. Und die Schule solle auch nicht mehr als das sein, machte der stellvertretende Landrat Bernhard Böddeker deutlich. Eine Notunterkunft. Langfristig sollen alle Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht werden. Dass die Schule so lange als Quartier herhalten muss, gefällt auch Uwe Schulze nicht. „Mir macht es auch keinen Spaß, eine Schule umrüsten zu müssen“, sagte er. Zumal er das ehemalige Gymnasium eigentlich als Ausweichquartier für die Schüler der Völkerfreundschaft vorgesehen hat, sobald deren Schule saniert wird. Dass die Flüchtlinge in Wohnungen unterkommen sollen, sorgte für Unmut. Eine Bürgerin fragte sich, ob es dadurch nicht zu einer Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt kommen würden - einer Konkurrenz zwischen wohnungssuchenden Köthenern und Flüchtlingen.

Was sagt die Polizei-Statistik?

Muss ich Angst vor den Flüchtlingen haben? Diese Frage beschäftigte am Dienstagabend so einige Bürger. Und sorgte nicht zuletzt auch für unsachliche Bemerkungen vonseiten der Rechten im Saal. Michaela Lange, Leiterin des Polizeireviers Anhalt-Bitterfeld, reagierte mit Fakten: Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres seien ihr zufolge 6 000 Straftaten im Landkreis Anhalt-Bitterfeld verübt worden, 200 davon von ausländischen Straftätern. „Das sind durchreisende Täter“, machte die Revierleiterin deutlich. „Nicht Flüchtlinge.“

Abgesehen von den Unterkünften, was wird noch für die Flüchtlinge getan?

Neben dem Förderverein für Sanitätswesen kümmert sich auch die Initiative „Willkommen in Köthen“ um die Flüchtlinge. „Es gibt viele fleißige Hände“, machte Bernd Hauschild als deren Mitglied deutlich. Mehr als 30 Helfer zählt die Initiative mittlerweile. Sie würden in der Kleiderkammer anpacken, Sprachkurse anbieten, Flüchtlinge zu Ärzten und Behörden begleiten. „Auch marokkanische Studenten haben sich der Initiative angeschlossen“, sagte Bernd Hauschild. Sie würden vor allem beim Übersetzen helfen. Vergangenen Freitag hatte die Initiative gemeinsam mit dem Verein „Rondo la Kulturo“ und der Organisation „Global Change Now“ zu einem Willkommensfest eingeladen. Zahlreiche Flüchtlinge waren dabei.

Unter den rund 400 Teilnehmern der Informationsveranstaltung waren auch Anhänger der NPD. Darunter Andreas Köhler, der die Partei im Kreistag vertritt. Sie sorgten für hitzige Diskussionen - und ließen nicht zuletzt auch Uwe Schulze laut werden, der sich am Ende über seinen emotionalen Ausbruch ärgerte, genau dafür aber auch lautstarken Applaus von zahlreichen Bürgern bekommen hatte. (mz)

NPD-Mann Andreas Köhler diskutiert.
NPD-Mann Andreas Köhler diskutiert.
Heiko Rebsch Lizenz
Die Polizei hatte vor allem die Vertreter der rechten Szene im Blick.
Die Polizei hatte vor allem die Vertreter der rechten Szene im Blick.
Heiko Rebsch Lizenz
Die Teilnehmer der Veranstaltung hatten viele Fragen mitgebracht.
Die Teilnehmer der Veranstaltung hatten viele Fragen mitgebracht.
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Mit Fakten entkräftete Revierleiterin Michaela Lange bestehende Vorurteile hinsichtlich der Kriminalität.
Mit Fakten entkräftete Revierleiterin Michaela Lange bestehende Vorurteile hinsichtlich der Kriminalität.
Heiko Rebsch Lizenz