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Gisela Agnes von Rath erzürnt die fürstliche Verwandtschaft

Von UTE HARTLING-LIEBLANG 24.11.2008, 17:28

KÖTHEN/DESSAU/MZ. - Stephan sieht seine Geschichten, in denen von Zwangsvermählungen und Vernunftsehen, von Liebe, Leidenschaft, Sittenverfall und Mord die Rede ist, als einen Beitrag zur Regionalgeschichte Sachsen-Anhalts.

Im Blickpunkt des Interesses stehen Frauen, die zwischen 1052 und 1956 in Mitteldeutschland für Aufsehen sorgten, weil sie es verstanden, ihre "verführerische Weiblichkeit einzusetzen, um das zu erreichen, was ihnen das traditionelle Rollenbild ihrer Zeit versagt: den gesellschaftlichen Aufstieg." So wird zum Beispiel Adelheid von Stade, Burgherrin der Weißenburg (1065 bis 1110) die Ehefrau von Ludwig dem Springer. Die Vollwaise Anna Margareta von Haugwitz (1622 bis 1673) aus Calbe an der Saale erwirbt durch weibliche List den Titel einer Gräfin. Die Beziehung der bürgerlichen Harzgeröderin Wilhelmine Charlotte Nüssler (1683 bis 1740) mit dem Erbprinzen von Anhalt-Bernburg sorgt für Verdruss in den anhaltinischen Fürstentümern. Nicht nur sie, auch Gisela Agnes von Rath (1669 bis 1740) sorgte wegen ihrer Mesalliance mit Emanuel Lebrecht in Anhalt-Köthen für Wirbel.

Schon während der Zeit der ersten Kreuzzüge, so blick der Autor tief in die Geschichte zurück, konnten viele der Ritter im Morgenland den Reizen der Sarazeninnen mit ihren dunklen Haaren und glutvollen Augen nicht widerstehen. "Die meisten Ritter hatten bei ihren steifbeinigen Eheliebsten schon lange kein ausreichendes Vergnügen mehr gefunden", was sie in die Arme der morgenländischen Beutefrauen trieb, beschreibt Stephan. Während sich im Abendland wiederum der "idealisierte Minnedienst" herausbildete, was den Troubadouren den Lebensunterhalt sicherte.

"Wie es aber wirklich in den Burgen zuging", resümiert der Autor in seinem Vorwort, "darüber kursierten höchstens Gerüchte". So sollen Mitte des zwölften Jahrhunderts beispielsweise in den Kemenaten der Burg Plötzkau an der Saale "vor Liebeswonne die Funken" gesprüht sein.

Wie böse Zungen behaupten, soll Dietrich, der Sohn des wettinischen Markgrafen Konrad von Meißen, die Abwesenheit des Burgherren genutzt haben, um dessen Gattin Kunigunde nicht nur einmal zu besuchen, obwohl er selbst mit Dobergana, der Tochter des Polenkönigs Boleslaw III., verheiratet war. Immerhin hat Dietrich die Witwe Kunigunde später - nach seiner Scheidung - noch geehelicht.

Über eine "beachtliche Offenheit hinsichtlich der sinnlichen Orientierung" berichtet Bernd Stephan aus der Zeit Mitte des 15. Jahrhunderts, was sich in zügellosen Affären und Skandalen niederschlug. "An den meisten Königs- und Fürstenhöfen galt fortan der Grundsatz: ,Erlaubt ist, was gefällt'." Liebesehen seien in jener Zeit ohnehin die Ausnahme gewesen, was erklärt, warum Mätressen bald an allen Höfen ihren Platz fanden.

Dennoch galt die Entscheidung, eine Mesalliance (eine unstandesgemäße Ehe) einzugehen, als allerhöchst verwerflich, was nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die aus diesen Verbindungen hervorgegangenen Kinder hatte.

Das musste auch Gisela Agnes von Rath am eigenen Leibe erfahren, die es geschickt verstanden hatte, als Hofdame am Köthener Schloss in Gegenwart von Emanuel Lebrecht ihre "vollen Rundungen" auszuspielen. Wenig später enthüllte Lebrecht seiner Mutter Anna Eleonore, dass er die Hofdame heiraten wolle. Damit war er nicht der erste im anhaltischen Fürstenhaus der solche Standes-Schranken überschritt. Denn erst kurz zuvor, im Jahr 1687, hatte Johann Ludwig von Anhalt-Zerbst-Dornburg sich unstandesgemäß mit Christine Eleonore von Zeutsch verehelicht. Oder 1637 - da gab Georg Aribert, ein Bruder von Fürst Johann Kasmir von Anhalt-Dessau, Johanna Elisabeth von Krosigk das Ja-Wort.

Am 30. September 1692, so berichtet Bernd Stephan, heiratete Fürst Emanuel Lebrecht von Anhalt-Köthen also Gisela Agnes von Rath vor dem lutherischen Pastor Stübner in Wörbzig "in aller Heimlichkeit." Ein Skandal für die fürstliche Verwandtschaft, da die Braut dem niederen Adel entstammte. "Folglich ließen alle vier anhaltischen Fürsten ihren Köthener Verwandten wissen, dass sie es strikt ablehnten, die Ehe und die aus ihr hervorgegangen Kinder als ebenbürtig anzuerkennen." Übrigens war es der zweite Sohn von Gisela Agnes, Fürst Leopold, der Johann Sebastian Bach 1717 von Weimar nach Köthen holte.

Wie diese Geschichte ausgeht und wie es ein halbes Jahrhundert später der Geliebten des Alten Dessauers, Sophie Eleonore Söldner (1710 bis 17779) erging, das kann man in dem reichlich illustrierten Band von Bernd Stephan nachlesen, der im Buchhandel für 14,90 Euro zu haben ist.