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"Mich nimmt ja keiner" Familie Ritter aus Köthen: Mutter Karin verzweifelt bei ihrer Wohnungssuche

Von Martin Tröster und Matthias Bartl 06.07.2019, 07:00
Karin Ritter wartet in der Augustenstraße, dass sich die Tür öffnet.
Karin Ritter wartet in der Augustenstraße, dass sich die Tür öffnet. Bartl

Köthen - Seit Anfang Mai hat Karin Ritter tagsüber keine feste Unterkunft. Jeden Tag zwischen 8 und 18 Uhr ist die Obdachlosenunterkunft an der Augustenstraße geschlossen. Karin Ritter und die anderen Bewohner müssen sich tagsüber woanders aufhalten.  Zu verdanken haben die Obdachlosen der Stadt diese Regelung mit hoher Wahrscheinlichkeit der Familie Ritter, mutmaßlich einem Sohn von Karin Ritter und dessen Entourage, die immer wieder durch Gewalt und Sachbeschädigung von sich Reden gemacht haben. Im Frühjahr wurde beispielsweise ein Obdachloser in der Unterkunft attackiert, mutmaßlich unter Beteiligung eines Sohns von Karin Ritter.

Stadt Köthen: Karin Ritter soll sich eine Wohnung suchen

Seit Anfang Mai ist die Unterkunft an der Augustenstraße nach Renovierungsarbeiten wieder nutzbar, und Karin Ritter samt einigen Mitgliedern ihrer Familie verbringt ihre Tage in der Innenstadt, vorzugsweise nahe des Halleschen Turms in der Bäckerei Schäfers und im Eiscafé Venezia.

In beiden Lokalitäten zeigen sich die Bediensteten nicht eben erfreut über ihre neuen Dauergäste - wobei weniger Karin Ritter ein Problem darstellt, sondern einer ihrer Söhne, der mitsamt seiner Entourage schon mal mitgebrachtes Billig-Bier an den Tischen trinkt. Nicht immer trauen sich Mitarbeiter, die oft betrunkenen Herren mit einer teilweise sehr kurzen Zündschnur darauf aufmerksam zu machen, dass das nicht gestattet ist.

Die letzte Einweisung von Karin Ritter in das Obdachlosenheim stammt von Ende Juni. Das Schreiben der Stadt gestattet ihr damit für den Juli ein Übernachtungsrecht in der Obdachlosenunterkunft. Für den August nicht mehr. Auf der Rückseite des Schreibens wird Karin Ritter darauf hingewiesen, dass sie verpflichtet ist, sich selbst einen festen Wohnraum zu suchen.

Karin Ritter: Nur Wohnungen in Wülknitz und in Baasdorf angeboten

„Das mache ich doch“, sagt Karin Ritter an einem Tisch im „Venezia“, während ihre Enkelin Wohnungsangebote durchstöbert. „Aber mich nimmt ja keiner. Wegen meiner Jungs“, sagt sie. Es läge auch am Namen, dass sie keine Angebote erhalte, sagt sie. Ihr Sohn, der nach einer Hochzeit einen anderen Namen hat, habe eine Wohnung. Dass es daran lag, ist zweifelhaft - immerhin ist er unter Köthenern unter seinem Nachnamen bekannt. Und sein Gesicht aus mehreren Sendungen des RTL-Formats Stern TV.

MZ-Informationen zufolge gehört er wie auch seine Nichte, die Enkelin von Karin Ritter, nicht zu den Bewohnern der Obdachlosenunterkunft, deren Adresse bei Karin Ritter als Meldeadresse auf dem Personalausweis vermerkt ist. Die Stadt habe ihr lediglich Wohnungen in Wülknitz und in Baasdorf angeboten. „Aber aufs Dorf gehe ich nicht“, sagt sie.

Köthens Oberbürgermeister Bernd Hauschild sagt dagegen, er habe lediglich auf ihre Anfrage geantwortet, ob er nicht eine Wohnung habe. Momentan falle ihm nur dieser städtische Wohnraum für diesen Fall ein, war seine Antwort gewesen, beteuert der OB: „Ich hatte nicht vorgehabt, sie gegen ihren Willen aufs Dorf zu schicken.“ Er habe ihr allerdings angekündigt, er spreche mit Eigentümern und Wohnungsinhabern und sehe, ob sich etwas ergibt, sagt der OB.

„Was der OB hier macht, ist menschlich nicht in Ordnung“, sagt Linken-Stadträtin Christina Buchheim

Unter Hauschild, nach dem Abgang des zuständigen Dezernenten Frolow, setzte ein härterer Kurs gegenüber den Ritters ein, der MZ-Informationen zufolge von Experten angeraten wurde. Immer wieder verteidigte Hauschild den nicht ganz billigen Kurs - die dazugehörige Security vom Eingang der Unterkunft kostet die Stadt monatlich 20.000 Euro. Der Sicherheitsdienst soll sicherstellen, dass niemand zwischen 8 und 18 Uhr die Unterkunft betritt. Man könne doch nicht wieder eine Obdachlosenunterkunft von den Ritters runterwirtschaften lassen, war ein zentrales Argument Hauschilds.

So oder so, besonders gut auf den OB scheint Ritter nicht zu sprechen zu sein. Als er ihr am Eiscafé zum Geburtstag gratulierte, war sie Augenzeugen zufolge nicht unbedingt erfreut. Um es sehr vorsichtig zu formulieren.

Sie wirft ihm vor, er setzte sie trotz nachgewiesener Krankheiten auf die Straße. „Das ist nicht ungefährlich bei der Hitze“, kritisiert Linken-Stadträtin Christina Buchheim, die Karin Ritter bei Amtsgängen geholfen hat. „Was der OB hier macht, ist menschlich nicht in Ordnung“, sagt Buchheim.

Aus Sicht vieler Stadträte gehört Karin Ritter nicht in die Augustenstraße 63

Aus Sicht vieler Stadträte gehört Karin Ritter ohnehin nicht in die Augustenstraße 63. Die SPD etwa findet, „sie gehört in eine Wohnung“, so Fraktionschef Sascha Ziesemeier. Die SPD fordere, dass die Stadtverwaltung gemeinsam mit dem Landkreis eine Lösung sucht „und nicht gegenseitig die Verantwortung hin und her geschoben wird“. Auch die Möglichkeit der Aufnahme Karin Ritters in einem Pflegeheim sollte geprüft werden, „was aber stark von der Zustimmung und Mitwirkung Frau Ritters abhängt“.

Darüber, wie sie behandelt wird, ist Karin Ritter stinksauer. Nicht nur deswegen, weil sie tagsüber auf der Straße leben muss, sondern auch, weil das Zimmer, das sie am Abend und in der Nacht bewohnt, unangenehm riecht, was ihr Lungenleiden verstärke, wie sie findet. „Ich habe den Sicherheitsleuten gesagt, sie sollen doch richtig durchlüften, machen die aber nicht“, behauptet sie gegenüber der MZ.

Karin Ritter beklagt den Umgang der Stadt mit dem Eigentum ihres Sohnes Andy

Sauer ist sie auch darüber, dass man das Eigentum ihres Sohnes Andy, der derzeit inhaftiert sei, einfach aus der Wohnung geräumt und in Containern weggeschafft habe. „Wenn der Junge zurückkommt, hat er nichts mehr“, klagt sie. Die Schuld dafür, so Ordnungsamtsleiterin Claudia Mikolay, liege bei Andy Ritter selbst. Er sei frühzeitig und mit Termin aufgefordert worden, das Zimmer zu beräumen, weil nach neuer Bewirtschaftung des Objekts dort nur noch städtisches Mobiliar verwendet werden dürfe, kein privates.

Am Tag, als die Frist ablief, einem Freitag, sei Ritter gekommen, man habe ihm vor Ort das Zugeständnis gemacht, den Räumungstermin zu verschieben, so dass er am Wochenende hätte ausräumen können. Das sei nicht erfolgt, ebensowenig sei nach der zweiten Aufforderung etwas passiert. „Deshalb hat die Stadt dann tatsächlich selbst beräumt und alles entsorgt“, so die Amtsleiterin. (mz)