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Erneut Proteste in Köthen Erneut Proteste in Köthen: Der Tod von Markus B. spaltet die Stadt

Von Ralf Böhme 17.09.2018, 10:00
Vor einer der Demos direkt nach dem Tod von Markus B. wurde der Marktplatz von Köthener bunt gemalt.
Vor einer der Demos direkt nach dem Tod von Markus B. wurde der Marktplatz von Köthener bunt gemalt. dpa-Zentralbild

Köthen - Der Zug aus Magdeburg rollt in Köthen ein. Nazis sollen drin sein. Junge Leute, die am Bahnhof gegen Rassismus demonstrieren, reagieren reflexartig. Mit dem Aufschrei „Antifaschista“ will eine Gruppe die Bahnhofshalle stürmen. Im letzten Moment gelingt es der Polizei das zu verhindern. Die Konfrontation ist abgewendet, und es bleibt bei starken Sprüchen.

Zu einer ähnlich zugespitzten Situation, aber mit umgekehrten politischen Vorzeichen, kommt es eine Stunde später an einer Ecke des Köthener Marktplatzes. Ein Demonstrationszug der Linken kommt in Sichtweite einer Kundgebung der AfD vorbei. Anlass genug für einen Trupp rechter Aktivisten in schwarzen Shirts mit szenetypischen Teutonen-Aufschriften, eine Absperrung durchbrechen zu wollen.

Der Tod von Markus B. spaltet Köthen an diesem Abend in zwei Lager

Wie am Bahnhof reagiert die Polizei auch hier blitzschnell. Die Reiterstaffel zieht auf, die Angreifer lassen ab und verziehen sich. Dennoch ist die Situation in der Stadt auch am zweiten Kundgebungswochenende alles anders als normal.

Der tragische Tod eines jungen Mannes aus Köthen, der bei einem Streit ums Leben kam, wühlt immer noch auf - und gegensätzliche politische Kräfte nutzen die Gelegenheit, Flagge zu zeigen. Viele Stimmen, die sich zu Sprechchören vereinen, sind bald heiser vom Brüllen.

Auf der einen Seite diejenigen, die Rechtsextreme in die Schranken weisen und die Demokratie retten wollen. Auf der anderen Seite ein genauso vielfältiges Gemisch von Leuten, für die es nur noch ein Thema gibt: eine durch sie gefühlte Gefahr für das Abendland. Ihr Schlachtruf: Merkel muss weg! Es fällt schwer, sich einen vernünftigen Dialog zwischen den Lagern vorzustellen.

Dass die Lage nicht eskaliert, ist auch dem massiven Aufgebot der Polizei zu verdanken

Köthen ist an diesem Wochenende im wahrsten Sinne des Wortes eine Stadt der schreienden Gegensätze - weit entfernt von der Beschaulichkeit einer kleinen Hochschulstadt. Das linke Lager reist mit Verstärkung aus Halle, Leipzig und Magdeburg an. Das rechte Lager macht es nicht anders. Dass es bis zum späten Abend zu keinen Ausschreitungen kommt, ist vor allem dem Konzept und dem massiven Auftreten der Polizeikräfte zu verdanken.

Eine selbst ernannte Bürgerwehr hat zwei Wochen nach den ausländerfeindlichen Übergriffen sieben Ausländer in Chemnitz bedroht und beschimpft. Die 15 mutmaßlichen Mitglieder der „Bürgerwehr“ kreisten die Gruppe am Freitagabend zunächst ein.

Dann seien fremdenfeindliche Äußerungen gefallen, teilten die Polizei mit. Ein 26-jähriger Iraner habe eine Platzwunde am Kopf erlitten. Zuvor soll die Gruppe bereits die Gäste einer Geburtstagsfeier bedroht und Ausweise von ihnen verlangt haben. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen flüchteten und alarmierten die Polizei.  

Die Beamten nahmen die insgesamt 15 Männer noch am Abend vorläufig fest. Gegen sechs von ihnen wurde Haftbefehl erlassen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wird ihnen Landfriedensbruch vorgeworfen. Ein 31-Jähriger sitze in Haft, weil er unter Bewährung gestanden habe. Gegen die übrigen fünf Männer soll bereits bis zum Mittwoch im Schnellverfahren am Amtsgericht Chemnitz verhandelt werden.

Lange Zeit herrscht rund um den Bahnhof sogar so etwas wie Festival-Feeling. Man trifft sich, quatscht, raucht, hört Musik - und Redebeiträge vom Megafon. Die Landtagsabgeordnete Henriette Quade (Die Linke) hat die Veranstaltung angemeldet und spricht Klartext: Den Neonazis dürfe die Straße nicht überlassen werden. Damit steht die Politikerin nicht allein.

Proteste in Köthen: „Wir hier in Köthen wollen Frieden, Frieden mit allen.“ 

Die Landesleiterin des Deutschen Gewerkschaftsbundes Susanne Wiederbeyer unterstützt das Anliegen ebenfalls ohne Wenn und Aber. Und auch der Bundestagsabgeordnete der SPD, Karamba Diaby, findet den Weg nach Köthen. Der Mann, der im Senegal geboren wurde und als Hallenser die Interessen Sachsen-Anhalts im Bundestag mit vertritt, betont: „Wir müssen denen, die auf Rassismus setzen, ein klares Stopp entgegensetzen.“ Jetzt gelte es, nicht klein beizugeben. Aus seiner Sicht instrumentalisieren die Rechtsextremen den tragischen Tod des jungen Kötheners, um ihre menschenfeindlichen Botschaften zu verbreiten.

Seine Worte treffen durchaus den Gemütszustand von Köthener Bürgern, die oftmals nur als Zaungäste das Geschehen verfolgen. Sie nennen nicht gern ihrer Namen, die Stimmung empfinden sie dazu als zu aufgeheizt. Aber sie nicken, als ein Mann, der sich Ernst nennt, sagt: „Wir hier in Köthen wollen Frieden, Frieden mit allen.“

Rechtsextreme Szene ist auch in Köthen aktiv

Hitlergrüße, wie sie zuletzt auch in ihrer Stadt gezeigt wurden, das lehnen die Zuschauer der Aufmärsche ausnahmslos ab. Damit stehen sie in völligem Gegensatz zur rechtsextremen Szene. Einige ihrer Vertreter ließen sich auf der AfD-Kundgebung blicken, verhielten sich aber ruhig.

Dabei zeigte es sich, wie die rechtsextreme Szene auch in Köthen aktiv ist. Heute seien deren Mitglieder eng vernetzt mit denen aus Dessau, meint Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander. Aktuell könne man wohl davon ausgehen, dass es im Raum Köthen/Dessau etwa 50 Rechtsextreme gebe.

Zu ihnen gehörten ein ehemaliger NPD-Funktionär, ein rechter Liedermacher, ein professioneller Kampfsportler. Für Sachsen-Anhalt geht der Verfassungsschutz von 1.300 Rechtsextremen aus. (mz)