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Erinnerung in Aken Erinnerung in Aken: Mit Elbwasser getauft

Von Ute Hartling-Lieblang 05.03.2014, 19:07
Arbeiter der Kiesbaggerei Busse auf einem Kahn.
Arbeiter der Kiesbaggerei Busse auf einem Kahn.  heiko rebsch Lizenz

Aken/MZ - Günter Busse gehört zu den Menschen, von denen man hinlänglich sagt, sie seien mit Elbwasser getauft. 1928 ist er in der Schifferstadt Aken geboren, von der er stolz erzählt, dass hier einst mehr Schiffseigner lebten als in Hamburg oder Magdeburg. 1887 sollen es zum Beispiel 135 gewesen sein, mit 141 Fahrzeugen.

Das Elternhaus von Günter Busse steht in der Gartenstraße 80, dort lebt er noch heute. „Und hier werde ich auch sterben“, scherzt der 86-Jährige, der in seinem Leben anderen nie eine Antwort schuldig geblieben ist.

Das mag daran liegen, dass er von Kindesbeinen an erlebt hat, wie hart und arbeitsreich das Leben am Fluss ist.

Paul Busse, der Vater von Günter Busse, war „der erste, der 1925 Kies aus der Elbe bei Aken gefördert hat“. Er hat sich dafür eine sechs Meter lange Vorrichtung gebaut, an deren Ende eine Art riesiger Kescher befestigt war, den er sich aus einem Eisenring und einem Segeltuch-Sack baute. „Dann hat er den Kahn genommen und ist raus auf die Elbe gefahren“, schildert der Sohn. Von dem so geborgenen Kies hat er das Haus in der Gartenstraße gebaut.

Die bei der Stadt haben sich das angesehen und den Vater eines Tages gefragt, ob er nicht noch mehr Kies rausholen könnte. „Damals sollte gerade der Wasserturm in Aken gebaut werden“, erklärt Busse. Also hat der Vater die Kiesbaggerei als Gewerbe angemeldet. Zusammen mit seinem Bruder August Busse, der sich in Nienburg dafür einen Kahn mietete. Anfangs wurden so 20 Kubikmeter Kies am Tag gefördert.

Später wurde ein Transportband angeschafft

1930 hat sich der Vater dann einen Bagger gekauft, den er in der Elbe, nahe der Kiesbänke stationierte, die er vorher suchte. Die waren so um die 150 Meter lang, sagt der Sohn. Mit Muskelkraft wurde der Kies zunächst über zwölf Meter lange Stege per Karre ans Ufer gekarrt. Zum Teil haben auch Kinder für eine Mark am Tag mitgeholfen, weiß Günter Busse. Später wurde ein Transportband angeschafft, um die körperlich schwere Arbeit zu verringern.

Seinen ersten Motorkahn hat sich Paul Busse ebenfalls selbst gebaut. „Der Motor stammte vom Autofriedhof in Dessau“, schildert der Sohn, später wurde er durch einen anderen ersetzt. Bis 1934 hat Paul Busse damit Lasten geschleppt.

In den besten Zeiten wurden in Busses Kiesbaggerei mit sechs Arbeitern 80 Kubikmeter Kies am Tag gefördert. Damit wurden im Laufe der 30er Jahre zum Beispiel auch die Kleinzerbster Straße und das Hauptwerk der IG Farben in Aken errichtet. Auch das heutige Dedierwerk und das Silo am Hafen sind mit Elbkies errichtet worden.

Weil in den zwanziger Jahren immer wieder auch Kies gestohlen wurde, entschloss sich die Familie, die „Grude“, ein Lokal an der Elbe, von der Köthener Schultheiß-Brauerei zu mieten, um den Kiesabbau besser unter Kontrolle zu haben. Das Lokal befand sich gleich neben einer Ranfahrer-Bude, wie das Holzhäuschen genannt wurde, von dem aus die Schiffer auf der Elbe mit Lebensmitteln und Wäsche versorgt wurden. Die Bewirtschaftung übernahm die Mutter von Günter Busse, Martha Busse. „Dass sich das Lokal einmal zu einer Goldgrube entwickeln sollte, hätte damals niemand gedacht“, sagt Günter Busse. Vor allem die Schiffer wussten die Gastlichkeit zu schätzen. Manchmal drängten sich hier bis zu 60 Gäste, denn hier gab es warmes Essen und reichlich Bier.

Dass auch einige Akener Juden zu den Gästen gehörten, habe die Akener Obrigkeit damals nicht gern gesehen und der Mutter öfter zugesetzt, sagt Busse, die habe sich aber durchgesetzt und erklärt, dass die Leute solange kommen könnten, solange sie sich ordentlich benehmen.

„Meinem Vater wurde vorgeworfen, er habe ein Wirtschaftsverbrechen begangen“

Kurz vor Kriegsende, genau am 4. April 1945, sind das Lokal und die anderen Holzhäuser an der Elbe abgebrannt. Das Ziel des Bombardements war eigentlich die Akener Graupenmühle, weiß Günter Busse. Auch der Bagger auf der Elbe ging 1945 durch eine Mine kaputt, konnte aber wieder gehoben werden, schildert der Akener.

1951 kam das Aus für die Kiesbaggerei Busse. „Meinem Vater wurde vorgeworfen, er habe ein Wirtschaftsverbrechen begangen“, erzählt Günter Busse, der damals 23 Jahre alt war. Dabei habe der Vater seinem Schwager lediglich zehn Liter Diesel geborgt. Dafür sollte Paul Busse 20 Jahre ins Gefängnis, schildert der Sohn. Die Firma und auch die Privathäuser wurden enteignet. Paul Busse setzte sich daraufhin nach Westdeutschland ab.

Sohn Günter, der erst drei Jahre beim Vater gelernt hat und dann in der Firma beschäftigt war, wurde über Nacht arbeitslos und musste sich einen neuen Job suchen. So fing er als Ungelernter auf der Akener Schiffswerft an. Dort half er nun auf einem fremden Kahn beim Lastenschleppen auf der Elbe, was ihm nicht gefiel.

Bald besann man sich in Aken, dass man so einen wie Paul Busse nicht hätte gehen lassen sollen und setzte alle Hebel in Bewegung, um ihn wieder aus dem Westen zurückzuholen. Nach der Rückkehr bekam er seinen Kahn zurück und arbeitete noch bis 1968 als Schlepper auf der Elbe, wo damals unter anderem Getreide aus dem Akener Silo, Kies und Wein aus Übersee umgeschlagen wurden.

Sohn Günter hatte sich inzwischen zum Schiffsbaunieter qualifiziert, ein Beruf, der rund um Aken sehr gefragt war.

So half er zum Beispiel auch öfter in der Roßlauer Schiffswerft aus. Später baute er im Waggonbau Dessau mit an den Güterwagen für die Sowjetunion und arbeitete elf Jahre lang bei der Firma Otto Busse, deren Inhaber aber nicht mit ihm verwandt war.

Heute befindet sich an dieser Stelle die Firma Heenemann. Otto Busse baute damals unter anderem Steuerhäuser für Kranbau Köthen. Inzwischen hatte er sich zum Schlosser weitergebildet und auch eine Schweißprüfung abgelegt. Bis zur Wende hat Günter Busse dann im Akener Einspritzgerätewerk als Prüfer gearbeitet, bevor er in den Ruhestand ging.

Mit seiner Frau Marga ist er seit 1957 verheiratet. Beide haben sich beim Tanzen in der „Klappe“ kennengelernt.

Seit 16 Jahren organisiert Günter Busse den Akener Seniorentanz, der einmal im Monat mittlerweile in den Akener Bierstuben stattfindet. Beim Akener Stadtfest kümmern er und seine Frau sich alljährlich darum, dass der SPD-Stand immer gut mit Getränken und Essbarem bestückt ist. Extra dafür bäckt Marga Busse auch jedes Jahr mehrere Kuchen. In die SPD ist Günter Busse nach der Wende eingetreten und nun schon viele Jahre aktiv dabei.

Und seit über 54 Jahren ist er treuer Anhänger des TSV Aken 1863 und hat noch nie ein Spiel ausgelassen.

Günter Busse hat diese Fotos aus dem Familienbesitz aufbewahrt.
Günter Busse hat diese Fotos aus dem Familienbesitz aufbewahrt.
heiko rebsch Lizenz
Der Kiesbagger seines Vaters mitten auf der Elbe.
Der Kiesbagger seines Vaters mitten auf der Elbe.
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Links im Bild das Lokal „Grude“, daneben ein Ranfahrer- Haus und Wohnhäuser.
Links im Bild das Lokal „Grude“, daneben ein Ranfahrer- Haus und Wohnhäuser.
heiko rebsch Lizenz