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«Dieser Mensch kennt mich ja wohl»

Von Raimund Leonhardt 11.03.2007, 17:55

Köthen/MZ. - Feste Größe

Mit Mennicke ist auch eine feste Institution des Heimes im Wäschke-Dorf nicht mehr: "Wie ein Pförtner hat er täglich am Eingang gesessen", erzählt Ergotherapeutin Anke Hahn. So gut wie jeden hat der alte Mann aus seinem Stuhl an der Tür heraus begrüßt und verabschiedet. Wenn ein Taxifahrer kam, um jemanden abzuholen und Mennicke dabei ebenfalls einen guten Tag wünschte, dann freute sich der: "Dieser Mensch kennt mich ja wohl", pflegte er dann bedeutungsvoll zu sagen.

Er nahm bis zuletzt aktiv am Heimleben teil, studierte den Speiseplan, freute sich auf die Mahlzeiten. Mennicke ließ sich regelmäßig vom Frisör die Haare schneiden, duschte gern und wusste genau Tag und Stunde.

Umgänglicher Typ

Der Alte hinterlässt an materiellen Werten nicht viel mehr als eine Mundharmonika auf der er, gut aufgelegt nach einem Schnäpschen, gern blies. Außerdem sang er gern: "Es war einmal ein treuer Husar". "Mädel, komm her, ich brauche meine Bonbons", befahl er Anke Hahn gelegentlich zu sich. Die fragte ihn dann, ob es "Bitte" und "Danke" nicht mehr gibt. "Er lenkte dann sofort ein, ging in sich und fragte ganz höflich noch einmal nach dem Gewünschten", muss Frau Hahn lächeln.

"Ein sehr umgänglicher Typ" findet auch Manuela Pilz. Die Altenpflegerin umsorgte ihn schon während seiner Zeit im Seniorenheim Julienhof in Zehringen. Mennickes Nichte Brigitte Ritter hatte sich nach dem Umzug im Juli 1988 um den Onkel gekümmert, der ein Bruder ihres Vaters Walter Mennicke war. Genauer: Fritz war der Zweit-Jüngste von fünf Brüdern. Die Familie ist weit verzweigt. Viele Nichten und Neffen gehören dazu. Der Vater von Mennicke war Kellner, die Mutter Hausfrau. Seine Brüder waren neben Walter: Otto, Franz und Rudi. Die Familie zog 1928 in die Köthener Springstraße. Auf den Straßen und Plätzen der kleinen Stadt hat Mennicke den größten Teil seines Lebens verbracht. Er ist sowohl durch sein Aussehen als auch durch sein Auftreten in Köthen aufgefallen. Anke Hahn, selbst Köthenerin aus der Wallstraße, sieht Mennicke mit seinem abgetragenen Zeug noch heute auf den Stufen neben "Meiers", dem HO-Lebensmittelladen am Buttermarkt, sitzen. "Das war sein Lieblingsplatz." MZ-Sekretärin Gilda Richter kennt ihn nicht anders als seinen kleinen Handwagen ziehend, den Hund "Herrn Schmidt" im Schlepptau. Auch, wenn Mennicke eine Wohnung hatte, in der Lange Straße gemeldet war: Er zog es vor, "Platte zu machen", auf der Straße zu leben, in Abrisshäusern oder im Sommer im Freien zu wohnen. Wer denkt, der Mann wollte und brauchte nicht zu arbeiten, der irrt sich sehr.

Fritze Mennicke hat von 1947 bis '53 als Straßenfeger die Stadt gekehrt. Er war Kohlenabträger beim Fuhrunternehmen Miet, Hilfsarbeiter in der Schokoladenfabrik, aber auch ein Streuner und Herumtreiber, der Köthen allerdings nicht verlassen hat.

Nichte Betreuerin

Nach seinem Einzug in den Julienhof in der Zehringer Lindenstraße fungierte Nichte Birgit Ritter als seine vom Gericht bestimmte Betreuerin. Mennicke litt Zeit seines Lebens an einem "gravierenden Intelligenzdefekt. "Er war debil" beschreibt es Frau Ritter direkt und allgemein verständlich. Wer Mennicke kannte, wird ihn eher für einen Vertreter des Schwejkschen Menschenbildes gehalten haben. Aber liegen Genie und Wahnsinn nicht so oft so dicht beieinander?

Birgit Ritter, zu deren Aufgaben es gehörte, immer die Eukalyptusbolchen mitzubringen, ist überzeugt: Ihr Onkel hat sich in Zehringen und auch in Großpaschleben sehr wohl gefühlt. "Ich bin froh, von der Straße weg zu sein", gestand er ihr einmal. "Dort hätte ich doch jetzt gar nicht mehr gelebt".

Viele vermissen ihn

Originale wie Mennicke hat es auch in anderen Kleinstädten gegeben. Der Fritze Mennicke von Bernburg beispielsweise hieß Apelherz und war mit Karre, Besen und Schaufel unterwegs. Jetzt, wo Menicke nicht mehr ist, seine Gehhilfe einsam in der Ecke steht, der kleine Fernseher schweigt und die Tafel mit den Bildern vom alten Köthen an der Wand lehnt, vermissen ihn viele. Mit Mennickes Tod taucht für manchen plötzlich ein Stück der eigenen Kindheit auf und verschwindet wieder.

Die Urne mit der Asche des alten Mennicke wird am Freitag um 10 Uhr auf dem Köthener Friedhof auf der grünen Wiese anonym beigesetzt.