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Bitteres Fazit Christoph Liesche aus Radegast war 2016 in Afghanistan - „Politisches Ziel vollkommen verfehlt“

Von Doreen Hoyer Aktualisiert: 21.08.2021, 13:21
Christoph Liesche in Afghanistan
Christoph Liesche in Afghanistan (Foto: Liesche)

Radegast/Masar-i-Scharif/MZ - Die Bundeswehr hat am Donnerstag hunderte Menschen aus Afghanistan evakuiert. In den Wochen zuvor hatten die Taliban immer größere Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. 20 Jahre nach Beginn des Einsatzes in Afghanistan ist das ein bitteres Ergebnis.

Und diese weltpolitischen Ereignisse mögen weit weg scheinen, sind aber doch auch mit der hiesigen Region verbunden - zum Beispiel über Soldaten, die in den vergangenen Jahrzehnten in dem Land am Hindukusch im Einsatz waren. Einer von ihnen ist der 33-jährige Christoph Liesche aus Radegast. Er war 2016 in Masar-i-Scharif stationiert und zwischenzeitlich auch in Kabul im Einsatz.

Der Einsatz habe mehrere Ziele gehabt, sagt er. Einmal die Zerschlagung von al-Qaida. Das sei sicherlich erreicht worden. „Wenn man aber das politische Ziel nimmt, das Land zu demokratisieren - das wurde vollkommen verfehlt.“ Auch das Ziel, verlässliche afghanische Streitkräfte auszubilden, die das Land gegen Islamisten verteidigen würden, sei letzten Endes nicht erreicht worden.

„Das trifft mich schon“, sagt Liesche zum Vorrücken der Taliban

Zwar wurden Streitkräfte ausgebildet. Doch sie leisteten den Taliban zuletzt kaum Widerstand. „Das trifft mich schon“, sagt Liesche. „Ich hätte mir schon gewünscht, dass ein Mindestmaß an demokratischen Rechten, an Frauenrechten, erhalten bleibt.“

Die Taliban hatten zuletzt versichert, dass Afghanen, die mit westlichen Militärs zusammengearbeitet haben, geschützt werden. Das zweifelt Liesche zumindest an. „Wie verlässlich das ist, wird die Zeit zeigen.“ Er selbst hat 2016 einige dieser Einheimischen kennengelernt, die im Lager in Masar-i-Scharif arbeiteten, etwa in der Küche oder in der Wäscherei. Mit den meisten sei keine Verständigung möglich gewesen. Ein Mann habe ihm aber zum Beispiel erzählt, dass er mit seiner Familie von Kunduz nach Masar-i-Scharif gezogen sei, quasi der Bundeswehr hinterher, um dort arbeiten zu können. Der Mann habe gefürchtet, in Kunduz angegriffen zu werden, nachdem sich die Bundeswehr dort zurückgezogen hatte. Was wird nun aus diesen Menschen? „Ich gehe davon aus, dass sie in akuter Gefahr sind. Wer weiß, was passiert, wenn der letzte Soldat ausgeflogen wurde.“

2016, als Liesche im Land war, sei die Sicherheitslage noch „mäßig“ gewesen. Man habe sich außerhalb des Lagers schon bewegen können, wenn auch nicht frei. Der Radegaster hatte die Aufgabe, Klimaanlagen in Stand zu setzen und die Stromerzeugung mit abzusichern. Als der Auftrag kam, nach Afghanistan zu gehen, habe er keine Angst gehabt. „Ich dachte: Okay, das gehört dazu. Und da machst du was Sinnvolles.“ Jetzt sei die Lage im Land quasi so, als wären die Soldaten nie da gewesen. Das sei für viele Soldaten, aber auch für die Angehörigen Gefallener bitter. Immerhin, fügt er an, habe sich die psychologische Betreuung durch die Bundeswehr im Laufe dieses langen Einsatzes erheblich verbessert; es gebe jetzt viel mehr Angebote.

Hätte man bei der Demokratisierung noch länger warten müssen?

Das Ergebnis des Einsatzes hätte vielleicht ein anderes sein können, wenn der politische Wille da gewesen wäre, meint Liesche. Mit mehr Kräften vor Ort und mehr Zeit. Noch mehr Zeit als 20 Jahre? „Ich persönlich denke, bei der Demokratisierung muss man warten, bis die Kinder, die in demokratischen Verhältnissen aufwachsen, erwachsen sind und selbst Entscheidungen treffen im Land. So weit war es aber in Afghanistan noch nicht. Und jetzt sind wieder die alten Köpfe da.“ Auch sei in der deutschen Bevölkerung der Zuspruch für den Einsatz am Hindukusch eher gering gewesen, entsprechend hätten Politiker einen längeren oder größeren Einsatz nicht gewollt.

Nach seinem Einsatz in Afghanistan ging es für Liesche damals weiter nach Litauen. Wäre dieser Auftrag nicht gekommen, er wäre auch ein weiteres Mal nach Afghanistan gegangen. Im vergangenem Jahr schließlich schied der Radegaster aus der Bundeswehr aus. Inzwischen absolviert er ein duales Studium in öffentlicher Verwaltung.