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Bildung Bildung: Die zweite Chance

Von SYLKE HERMANN 29.10.2010, 17:09

KÖTHEN/MZ. - Sie, Franziska Ducke, machte ihre Geschichte am Ende gar zum Gegenstand ihrer mündlichen Sozialkundeprüfung und wurde mit der Note 1 belohnt. Über die Sprachentwicklung und Sprachstörungen bei Kindern wusste die junge Mutter aus eigener Erfahrung zu berichten. Ihr Sohn, heute vier, sprach bis vor wenigen Monaten kaum, "weil er nichts hörte". Jetzt ist das Kind operiert und auf dem Weg, sprechen zu lernen. Armin Freyer, Leiter der Köthener Sekundarschule Völkerfreundschaft, bedankte sich ausdrücklich bei Franziska Ducke. Es käme normalerweise nicht vor, dass er in einer Prüfung noch etwas lerne.

Am Freitag gab es Zeugnisse. Keine schlechten für Franziska Ducke, die 25 ist und in Aken zu Hause, und Toni Schneider aus Wulfen. Sie haben als Nichtschüler jetzt ihren Hauptschulabschluss nachgeholt. Mit ihnen ein Dutzend anderer. Nur einer bestand nicht, kann aber die Prüfung nach frühestens einem Jahr wiederholen. Sein gutes Recht.

Zum dritten Mal bot die Deutsche Angestellten Akademie in Köthen, jungen Leuten die Gelegenheit, den an der Schule versäumten Hauptschulabschluss doch noch zu machen. Ihre zweite Chance. Dafür drückten sie ein halbes Jahr lang von montags bis freitags jeweils acht Stunden die Schulbank, wurden in Deutsch, Mathe, Physik, Geschichte und Sozialkunde unterrichtet. Und zwar nach den geltenden Rahmenrichtlinien. Für die Prüfungen kamen Fachlehrer der Völkerfreundschaft ins Haus. "Wer besteht, bekommt ein richtiges, echtes Zeugnis einer Schule", erläutert Armin Freyer.

Für ihn sind Nichtschülerprüfungen jedes Mal eine besondere Situation, "weil die Ausgangsvoraussetzungen bei jedem Teilnehmer anders sind". Die einen, erklärt er, schließen den Kurs mit 1,4 ab und haben vielleicht sogar das Potenzial für den Realschulabschluss; die anderen bestehen gerade so, was aus ihrer Sicht aber auch sehr gut ist. "Entscheidend ist doch, dass wir mit diesen Prüfungen Perspektiven schaffen und den weiteren Weg der jungen Leute ebnen können."

Die Zeugnisse übergeben zu dürfen, sei für ihn deshalb nicht nur zufrieden stellend, "es ist mir eine Genugtuung". Zumal der diesjährige BIC-Jahrgang - BIC steht für Berufliches Integrationscenter - der beste von allen gewesen ist. "Bisher haben immer rund 50 Prozent bestanden, diesmal fast alle", freut sich Anja Kittel, die das Projekt des Bildungsträgers leitet. "Ich bin froh", betont Klaus Kalitzki, "dass sich der Aufwand gelohnt hat; ich bin begeistert." Kalitzki arbeitet als Fallmanager beim Jobcenter Köthen, dem Kostenträger der Bildungsmaßnahme.

Franziska Ducke wusste, wie sie erzählt, gar nicht, dass es die Möglichkeit gibt, eine Nichtschülerprüfung abzulegen und damit Verpasstes nachzuholen. Dass sie die Schule hat schleifen lassen, weiß sie durchaus. Eine bei den Euroschulen Aken begonnene Ausbildung zur Köchin beendete sie seinerzeit nicht. Mit 21 bekam sie ihren Sohn. Danach habe die Zeit gefehlt, sich um die eigene Zukunft zu kümmern. Das will sie nun tun. Gleich am Montag. "Mal sehen, wo ich mich bewerben kann." Für eine Ausbildung zur Fachverkäuferin.

Auch Toni Schneider will nicht länger abwarten und nichts tun, sondern die Chance nutzen, mit einem Zeugnis in der Tasche die eigene Zukunft zu gestalten. Wohin die Reise geht, ist offen. Aber: "So konnte es nicht weitergehen."

Maren Beneke-Bädelt, die Deutsch und Sozialkunde unterrichtete, schwört ihre Schützlinge an deren letztem Tag ein allerletztes Mal ein: "Verfallt ja nicht wieder in Lethargie. Tut etwas."